seyn, denn ich war so glücklich, zwei arme See- len zu erlösen! (mit Wehmuth). Wenn ich ihn nur auch erlösen könnte! Es wird mir doch noch gelingen, die Mutter Gottes hat es mir schon oft versprochen! Wenn ich nur mit dem rechten Fuß in die Kirche treten könnte, aber so sehr ich mich auch bemühe, so kommt der linke immer voraus, und dann ist s vorbei! Ich muß nur recht fleißig beten, dann wird's schon gehen, dann kann ich und er noch recht glück- lich werden.
Sie gieng nun bergabwärts, faltete ihre Hän- de, machte einige Schritte, und blieb dann im- mer gen Himmel blickend stehen. Die Mutter folgte, ich gieng mit dieser, und erfuhr von der gutherzigen Alten noch manchen Umstand, der mir merkwürdig dünkte. Kätchen verabscheut den Tanz und kann keine Musik hören, wenn eine Hochzeit vor ihrem Fenster vorüber zieht, so ver- kriecht sie sich in ihr Bette, das sie dann selten an diesem Tage wieder verläßt; wenn aber eine Leiche zum Thore hinaus getragen wird, so hin- dert sie nichts, ihr zu folgen, und lange am Grabe des Verstorbnen zu beten. Oft erscheint ihrem phantasiereichen Auge die Mutter Gottes, und verbietet ihr, die Stube zu verlassen, dann ist nichts vermögend, sie in's Freie zu locken, wenn aber ein Soldat vorüber geht, so eilt sie, ungeachtet des Verbots, hinaus, und starrt ihm lange nach. Sie geht sehr fleißig in die Kirche,
ſeyn, denn ich war ſo gluͤcklich, zwei arme See- len zu erloͤſen! (mit Wehmuth). Wenn ich ihn nur auch erloͤſen koͤnnte! Es wird mir doch noch gelingen, die Mutter Gottes hat es mir ſchon oft verſprochen! Wenn ich nur mit dem rechten Fuß in die Kirche treten koͤnnte, aber ſo ſehr ich mich auch bemuͤhe, ſo kommt der linke immer voraus, und dann iſt s vorbei! Ich muß nur recht fleißig beten, dann wird's ſchon gehen, dann kann ich und er noch recht gluͤck- lich werden.
Sie gieng nun bergabwaͤrts, faltete ihre Haͤn- de, machte einige Schritte, und blieb dann im- mer gen Himmel blickend ſtehen. Die Mutter folgte, ich gieng mit dieſer, und erfuhr von der gutherzigen Alten noch manchen Umſtand, der mir merkwuͤrdig duͤnkte. Kaͤtchen verabſcheut den Tanz und kann keine Muſik hoͤren, wenn eine Hochzeit vor ihrem Fenſter voruͤber zieht, ſo ver- kriecht ſie ſich in ihr Bette, das ſie dann ſelten an dieſem Tage wieder verlaͤßt; wenn aber eine Leiche zum Thore hinaus getragen wird, ſo hin- dert ſie nichts, ihr zu folgen, und lange am Grabe des Verſtorbnen zu beten. Oft erſcheint ihrem phantaſiereichen Auge die Mutter Gottes, und verbietet ihr, die Stube zu verlaſſen, dann iſt nichts vermoͤgend, ſie in's Freie zu locken, wenn aber ein Soldat voruͤber geht, ſo eilt ſie, ungeachtet des Verbots, hinaus, und ſtarrt ihm lange nach. Sie geht ſehr fleißig in die Kirche,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0039"n="25"/>ſeyn, denn ich war ſo gluͤcklich, zwei arme See-<lb/>
len zu erloͤſen! (<hirendition="#g">mit Wehmuth</hi>). Wenn<lb/>
ich <hirendition="#g">ihn</hi> nur auch erloͤſen koͤnnte! Es wird mir<lb/>
doch noch gelingen, die Mutter Gottes hat es<lb/>
mir ſchon oft verſprochen! Wenn ich nur mit<lb/>
dem rechten Fuß in die Kirche treten koͤnnte,<lb/>
aber ſo ſehr ich mich auch bemuͤhe, ſo kommt der<lb/>
linke immer voraus, und dann iſt s vorbei! Ich<lb/>
muß nur recht fleißig beten, dann wird's ſchon<lb/>
gehen, dann kann ich und er noch recht gluͤck-<lb/>
lich werden.</p><lb/><p>Sie gieng nun bergabwaͤrts, faltete ihre Haͤn-<lb/>
de, machte einige Schritte, und blieb dann im-<lb/>
mer gen Himmel blickend ſtehen. Die Mutter<lb/>
folgte, ich gieng mit dieſer, und erfuhr von der<lb/>
gutherzigen Alten noch manchen Umſtand, der mir<lb/>
merkwuͤrdig duͤnkte. Kaͤtchen verabſcheut den<lb/>
Tanz und kann keine Muſik hoͤren, wenn eine<lb/>
Hochzeit vor ihrem Fenſter voruͤber zieht, ſo ver-<lb/>
kriecht ſie ſich in ihr Bette, das ſie dann ſelten<lb/>
an dieſem Tage wieder verlaͤßt; wenn aber eine<lb/>
Leiche zum Thore hinaus getragen wird, ſo hin-<lb/>
dert ſie nichts, ihr zu folgen, und lange am<lb/>
Grabe des Verſtorbnen zu beten. Oft erſcheint<lb/>
ihrem phantaſiereichen Auge die Mutter Gottes,<lb/>
und verbietet ihr, die Stube zu verlaſſen, dann<lb/>
iſt nichts vermoͤgend, ſie in's Freie zu locken,<lb/>
wenn aber ein Soldat voruͤber geht, ſo eilt ſie,<lb/>
ungeachtet des Verbots, hinaus, und ſtarrt ihm<lb/>
lange nach. Sie geht ſehr fleißig in die Kirche,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[25/0039]
ſeyn, denn ich war ſo gluͤcklich, zwei arme See-
len zu erloͤſen! (mit Wehmuth). Wenn
ich ihn nur auch erloͤſen koͤnnte! Es wird mir
doch noch gelingen, die Mutter Gottes hat es
mir ſchon oft verſprochen! Wenn ich nur mit
dem rechten Fuß in die Kirche treten koͤnnte,
aber ſo ſehr ich mich auch bemuͤhe, ſo kommt der
linke immer voraus, und dann iſt s vorbei! Ich
muß nur recht fleißig beten, dann wird's ſchon
gehen, dann kann ich und er noch recht gluͤck-
lich werden.
Sie gieng nun bergabwaͤrts, faltete ihre Haͤn-
de, machte einige Schritte, und blieb dann im-
mer gen Himmel blickend ſtehen. Die Mutter
folgte, ich gieng mit dieſer, und erfuhr von der
gutherzigen Alten noch manchen Umſtand, der mir
merkwuͤrdig duͤnkte. Kaͤtchen verabſcheut den
Tanz und kann keine Muſik hoͤren, wenn eine
Hochzeit vor ihrem Fenſter voruͤber zieht, ſo ver-
kriecht ſie ſich in ihr Bette, das ſie dann ſelten
an dieſem Tage wieder verlaͤßt; wenn aber eine
Leiche zum Thore hinaus getragen wird, ſo hin-
dert ſie nichts, ihr zu folgen, und lange am
Grabe des Verſtorbnen zu beten. Oft erſcheint
ihrem phantaſiereichen Auge die Mutter Gottes,
und verbietet ihr, die Stube zu verlaſſen, dann
iſt nichts vermoͤgend, ſie in's Freie zu locken,
wenn aber ein Soldat voruͤber geht, ſo eilt ſie,
ungeachtet des Verbots, hinaus, und ſtarrt ihm
lange nach. Sie geht ſehr fleißig in die Kirche,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/39>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.