glich sie ganz einer Madonna, der eben ein Engel den Gruß des Herrn bringt; wenn sich aber ihr Au- ge hob, und schüchtern umher blickte, da verrieth ein gewisses Etwas, das sich nicht beschreiben läßt, ihre innere Zerrüttung. Ich würde sie noch lange stillschweigend angestaunt haben, wenn ihr umher irrendes Auge mich nicht gefaßt, und auf's neue freundschaftlich gegrüßt hätte.
Ich. Wie geht dir's, liebes Kätchen?
Kätchen. (freundlich und sehr ge- schwätzig) Gott sei Dank, recht gut! Es bes- sert sich täglich, ich habe Hofnung, meine Ver- nunft wieder zu erhalten, wenn ich diese einmal ganz besitze, dann will ich recht fleißig arbeiten, und meine arme Mutter bis in den Tod redlich ernähren.
Die Alte. Das gebe der liebe Gott!
Ich. Willst du denn jetzt nicht auch ar- beiten?
Kätchen. O freilich, ich arbeite immer, wenn ich nicht bete! Aber beten muß ich oft und viel, sonst kann ich nicht bestehen! (mit zufriednem Tone) Ich habe heute schon zwei arme Seelen erlößt! (sehr geschwätzig) Sehen Sie, ich will's Ihnen wohl erzählen, wie es mir eigentlich gekommen ist. Es war am hei- ligen Abende, die Mutter hatte einen Butterwe- ken gebacken, ich weifte mein Garn ab, und der Butterwecken stand auf dem Tische, da kam
glich ſie ganz einer Madonna, der eben ein Engel den Gruß des Herrn bringt; wenn ſich aber ihr Au- ge hob, und ſchuͤchtern umher blickte, da verrieth ein gewiſſes Etwas, das ſich nicht beſchreiben laͤßt, ihre innere Zerruͤttung. Ich wuͤrde ſie noch lange ſtillſchweigend angeſtaunt haben, wenn ihr umher irrendes Auge mich nicht gefaßt, und auf's neue freundſchaftlich gegruͤßt haͤtte.
Ich. Wie geht dir's, liebes Kaͤtchen?
Kaͤtchen. (freundlich und ſehr ge- ſchwaͤtzig) Gott ſei Dank, recht gut! Es beſ- ſert ſich taͤglich, ich habe Hofnung, meine Ver- nunft wieder zu erhalten, wenn ich dieſe einmal ganz beſitze, dann will ich recht fleißig arbeiten, und meine arme Mutter bis in den Tod redlich ernaͤhren.
Die Alte. Das gebe der liebe Gott!
Ich. Willſt du denn jetzt nicht auch ar- beiten?
Kaͤtchen. O freilich, ich arbeite immer, wenn ich nicht bete! Aber beten muß ich oft und viel, ſonſt kann ich nicht beſtehen! (mit zufriednem Tone) Ich habe heute ſchon zwei arme Seelen erloͤßt! (ſehr geſchwaͤtzig) Sehen Sie, ich will's Ihnen wohl erzaͤhlen, wie es mir eigentlich gekommen iſt. Es war am hei- ligen Abende, die Mutter hatte einen Butterwe- ken gebacken, ich weifte mein Garn ab, und der Butterwecken ſtand auf dem Tiſche, da kam
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glich ſie ganz einer Madonna, der eben ein Engel
den Gruß des Herrn bringt; wenn ſich aber ihr Au-
ge hob, und ſchuͤchtern umher blickte, da verrieth ein
gewiſſes Etwas, das ſich nicht beſchreiben laͤßt,
ihre innere Zerruͤttung. Ich wuͤrde ſie noch lange
ſtillſchweigend angeſtaunt haben, wenn ihr umher
irrendes Auge mich nicht gefaßt, und auf's neue
freundſchaftlich gegruͤßt haͤtte.
Ich. Wie geht dir's, liebes Kaͤtchen?
Kaͤtchen. (freundlich und ſehr ge-
ſchwaͤtzig) Gott ſei Dank, recht gut! Es beſ-
ſert ſich taͤglich, ich habe Hofnung, meine Ver-
nunft wieder zu erhalten, wenn ich dieſe einmal
ganz beſitze, dann will ich recht fleißig arbeiten,
und meine arme Mutter bis in den Tod redlich
ernaͤhren.
Die Alte. Das gebe der liebe Gott!
Ich. Willſt du denn jetzt nicht auch ar-
beiten?
Kaͤtchen. O freilich, ich arbeite immer,
wenn ich nicht bete! Aber beten muß ich oft
und viel, ſonſt kann ich nicht beſtehen! (mit
zufriednem Tone) Ich habe heute ſchon
zwei arme Seelen erloͤßt! (ſehr geſchwaͤtzig)
Sehen Sie, ich will's Ihnen wohl erzaͤhlen, wie
es mir eigentlich gekommen iſt. Es war am hei-
ligen Abende, die Mutter hatte einen Butterwe-
ken gebacken, ich weifte mein Garn ab, und der
Butterwecken ſtand auf dem Tiſche, da kam
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/28>, abgerufen am 16.02.2025.
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