Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.viele unglückliche Mütter auf der Welt geben, Ich. Glaubt's nicht, gute Frau, glaubt's Die Alte. Ach, Gott, ja wohl! Wenn ich Ich. Kommt sie oft hieher beten? Die Alte. Alle Freitage! Wenn's schlim- viele ungluͤckliche Muͤtter auf der Welt geben, Ich. Glaubt's nicht, gute Frau, glaubt's Die Alte. Ach, Gott, ja wohl! Wenn ich Ich. Kommt ſie oft hieher beten? Die Alte. Alle Freitage! Wenn's ſchlim- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0026" n="12"/> viele ungluͤckliche Muͤtter auf der Welt geben,<lb/> aber eine Mutter, die ein wahnſinniges Kind<lb/> hat, iſt gewiß die ungluͤcklichſte unter allen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Glaubt's nicht, gute Frau, glaubt's<lb/> nicht! Waren die Muͤtter derjenigen Kinder,<lb/> welche hier ruhen, nicht noch ungluͤcklicher?</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Alte</hi>. Ach, Gott, ja wohl! Wenn ich<lb/> mir dieſer Leiden denke, da wird mir angſt und<lb/> bange: Drum hindere ich's auch nicht, wenn<lb/> meine Tochter hieher beten geht. Sie hat zwar<lb/> ihren Verſtand verlohren, aber beten kann ſie<lb/> trotz einem Pfarrer; da denke ich mir denn, Gott<lb/> muͤſſe ſo inbruͤnſtiges Gebet auch hoͤren, er hoͤrt<lb/> ja das Lallen der Kinder, die eben ſo unvernuͤnf-<lb/> tig, wie ſie, ſind.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Kommt ſie oft hieher beten?</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Alte</hi>. Alle Freitage! Wenn's ſchlim-<lb/> mes Wetter macht, und ich nicht mit ihr, ſie<lb/> auch nicht allein gehen laſſen will, ſo weint ſie<lb/> unaufhoͤrlich, und arbeitet den ganzen Tag nichts.<lb/> Oft macht ſie mir ſo bittre Vorwuͤrfe daruͤber,<lb/> daß ich mir ein Gewiſſen daraus mache, und ih-<lb/> ren Willen erfuͤlle, weil fuͤr die armen Verlaßnen<lb/> ohnehin wenige beten, und ſie ihrer großen Suͤn-<lb/> den wegen doch alle im Fegfeuer ſchmachten muͤſ-<lb/> ſen. Zwar, wenn's wahr iſt, was meine Toch-<lb/> ter ſagt, ſo ſind ſie ſchon laͤngſt alle erloͤßt, aber<lb/> wer kann's wiſſen; ſie mag daher beten, ſo lange<lb/> ſie will.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [12/0026]
viele ungluͤckliche Muͤtter auf der Welt geben,
aber eine Mutter, die ein wahnſinniges Kind
hat, iſt gewiß die ungluͤcklichſte unter allen.
Ich. Glaubt's nicht, gute Frau, glaubt's
nicht! Waren die Muͤtter derjenigen Kinder,
welche hier ruhen, nicht noch ungluͤcklicher?
Die Alte. Ach, Gott, ja wohl! Wenn ich
mir dieſer Leiden denke, da wird mir angſt und
bange: Drum hindere ich's auch nicht, wenn
meine Tochter hieher beten geht. Sie hat zwar
ihren Verſtand verlohren, aber beten kann ſie
trotz einem Pfarrer; da denke ich mir denn, Gott
muͤſſe ſo inbruͤnſtiges Gebet auch hoͤren, er hoͤrt
ja das Lallen der Kinder, die eben ſo unvernuͤnf-
tig, wie ſie, ſind.
Ich. Kommt ſie oft hieher beten?
Die Alte. Alle Freitage! Wenn's ſchlim-
mes Wetter macht, und ich nicht mit ihr, ſie
auch nicht allein gehen laſſen will, ſo weint ſie
unaufhoͤrlich, und arbeitet den ganzen Tag nichts.
Oft macht ſie mir ſo bittre Vorwuͤrfe daruͤber,
daß ich mir ein Gewiſſen daraus mache, und ih-
ren Willen erfuͤlle, weil fuͤr die armen Verlaßnen
ohnehin wenige beten, und ſie ihrer großen Suͤn-
den wegen doch alle im Fegfeuer ſchmachten muͤſ-
ſen. Zwar, wenn's wahr iſt, was meine Toch-
ter ſagt, ſo ſind ſie ſchon laͤngſt alle erloͤßt, aber
wer kann's wiſſen; ſie mag daher beten, ſo lange
ſie will.
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