Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie gieng geschäftig fort, ich folgte langsam.
Noch herrschte immer Erstaunen in meinem Bli-
ke, ich stand auf dem freien Dorfplatze, blickte
umher, und suchte mich zu fassen. Ein ehrwürdi-
ger Priester gieng langsam vorüber, er grüßte
mich freundlich. Sie waren da unten in der
Hütte? sprach er, und lächelte von neuem.

Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner
Erwartung sehr betrogen worden.

Priester. Glaub's gerne, es ist schon meh-
rern so ergangen. Noch ärger sind Sie aber be-
trogen worden, wenn sie Ihnen auch, ihre Ge-
schichte erzählt hat, und Sie vielleicht in dieser
Gegend nicht bekannt sind.

Sie hat mir alles erzählt, ich reise zum er-
stenmale durch diese Gegend.

Priester. Dann werden Sie sich weidlich
wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre versiche-
re, daß die ganze Geschichte eine Erdichtung ih-
rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn-
sinns ist.

Ich. Das ist unmöglich.

Priester. So muß es Ihnen freilich schei-
nen, aber es ist doch nicht anders. Um Sie mit
einmal zu überzeugen, darf ich Ihnen nur sagen,
daß diese ganze Herrschaft einem Kloster gehört,
und dieses solche schon über zwei hundert Jahre
eigenthümlich besitzt. Ich bin ein Mitglied dessel-
ben, und jetzt hier als Pfarrer angestellt. Wol-
len Sie mir's nicht glauben, so befragen Sie alle

O 2

Sie gieng geſchaͤftig fort, ich folgte langſam.
Noch herrſchte immer Erſtaunen in meinem Bli-
ke, ich ſtand auf dem freien Dorfplatze, blickte
umher, und ſuchte mich zu faſſen. Ein ehrwuͤrdi-
ger Prieſter gieng langſam voruͤber, er gruͤßte
mich freundlich. Sie waren da unten in der
Huͤtte? ſprach er, und laͤchelte von neuem.

Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner
Erwartung ſehr betrogen worden.

Prieſter. Glaub's gerne, es iſt ſchon meh-
rern ſo ergangen. Noch aͤrger ſind Sie aber be-
trogen worden, wenn ſie Ihnen auch, ihre Ge-
ſchichte erzaͤhlt hat, und Sie vielleicht in dieſer
Gegend nicht bekannt ſind.

Sie hat mir alles erzaͤhlt, ich reiſe zum er-
ſtenmale durch dieſe Gegend.

Prieſter. Dann werden Sie ſich weidlich
wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre verſiche-
re, daß die ganze Geſchichte eine Erdichtung ih-
rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn-
ſinns iſt.

Ich. Das iſt unmoͤglich.

Prieſter. So muß es Ihnen freilich ſchei-
nen, aber es iſt doch nicht anders. Um Sie mit
einmal zu uͤberzeugen, darf ich Ihnen nur ſagen,
daß dieſe ganze Herrſchaft einem Kloſter gehoͤrt,
und dieſes ſolche ſchon uͤber zwei hundert Jahre
eigenthuͤmlich beſitzt. Ich bin ein Mitglied deſſel-
ben, und jetzt hier als Pfarrer angeſtellt. Wol-
len Sie mir's nicht glauben, ſo befragen Sie alle

O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0217" n="203"/>
        <p>Sie gieng ge&#x017F;cha&#x0364;ftig fort, ich folgte lang&#x017F;am.<lb/>
Noch herr&#x017F;chte immer                     Er&#x017F;taunen in meinem Bli-<lb/>
ke, ich &#x017F;tand auf dem freien Dorfplatze,                     blickte<lb/>
umher, und &#x017F;uchte mich zu fa&#x017F;&#x017F;en. Ein ehrwu&#x0364;rdi-<lb/>
ger Prie&#x017F;ter                     gieng lang&#x017F;am voru&#x0364;ber, er gru&#x0364;ßte<lb/>
mich freundlich. Sie waren da unten in                     der<lb/>
Hu&#x0364;tte? &#x017F;prach er, und la&#x0364;chelte von neuem.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Ja, ich war dort, und bin in meiner<lb/>
Erwartung                     &#x017F;ehr betrogen worden.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. Glaub's gerne, es i&#x017F;t &#x017F;chon meh-<lb/>
rern &#x017F;o                     ergangen. Noch a&#x0364;rger &#x017F;ind Sie aber be-<lb/>
trogen worden, wenn &#x017F;ie Ihnen auch,                     ihre Ge-<lb/>
&#x017F;chichte erza&#x0364;hlt hat, und Sie vielleicht in die&#x017F;er<lb/>
Gegend                     nicht bekannt &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Sie hat mir alles erza&#x0364;hlt, ich rei&#x017F;e zum er-<lb/>
&#x017F;tenmale durch die&#x017F;e                     Gegend.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. Dann werden Sie &#x017F;ich weidlich<lb/>
wundern, wenn                     ich Sie auf meine Ehre ver&#x017F;iche-<lb/>
re, daß die ganze Ge&#x017F;chichte eine                     Erdichtung ih-<lb/>
rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn-<lb/>
&#x017F;inns                     i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Das i&#x017F;t unmo&#x0364;glich.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. So muß es Ihnen freilich &#x017F;chei-<lb/>
nen, aber                     es i&#x017F;t doch nicht anders. Um Sie mit<lb/>
einmal zu u&#x0364;berzeugen, darf ich Ihnen                     nur &#x017F;agen,<lb/>
daß die&#x017F;e ganze Herr&#x017F;chaft einem Klo&#x017F;ter geho&#x0364;rt,<lb/>
und die&#x017F;es                     &#x017F;olche &#x017F;chon u&#x0364;ber zwei hundert Jahre<lb/>
eigenthu&#x0364;mlich be&#x017F;itzt. Ich bin ein                     Mitglied de&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
ben, und jetzt hier als Pfarrer ange&#x017F;tellt. Wol-<lb/>
len                     Sie mir's nicht glauben, &#x017F;o befragen Sie alle<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0217] Sie gieng geſchaͤftig fort, ich folgte langſam. Noch herrſchte immer Erſtaunen in meinem Bli- ke, ich ſtand auf dem freien Dorfplatze, blickte umher, und ſuchte mich zu faſſen. Ein ehrwuͤrdi- ger Prieſter gieng langſam voruͤber, er gruͤßte mich freundlich. Sie waren da unten in der Huͤtte? ſprach er, und laͤchelte von neuem. Ich. Ja, ich war dort, und bin in meiner Erwartung ſehr betrogen worden. Prieſter. Glaub's gerne, es iſt ſchon meh- rern ſo ergangen. Noch aͤrger ſind Sie aber be- trogen worden, wenn ſie Ihnen auch, ihre Ge- ſchichte erzaͤhlt hat, und Sie vielleicht in dieſer Gegend nicht bekannt ſind. Sie hat mir alles erzaͤhlt, ich reiſe zum er- ſtenmale durch dieſe Gegend. Prieſter. Dann werden Sie ſich weidlich wundern, wenn ich Sie auf meine Ehre verſiche- re, daß die ganze Geſchichte eine Erdichtung ih- rer Einbildungskraft, eine Erfindung ihres Wahn- ſinns iſt. Ich. Das iſt unmoͤglich. Prieſter. So muß es Ihnen freilich ſchei- nen, aber es iſt doch nicht anders. Um Sie mit einmal zu uͤberzeugen, darf ich Ihnen nur ſagen, daß dieſe ganze Herrſchaft einem Kloſter gehoͤrt, und dieſes ſolche ſchon uͤber zwei hundert Jahre eigenthuͤmlich beſitzt. Ich bin ein Mitglied deſſel- ben, und jetzt hier als Pfarrer angeſtellt. Wol- len Sie mir's nicht glauben, ſo befragen Sie alle O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/217
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/217>, abgerufen am 22.11.2024.