haupten kann, daß er den angegebenen Werth noch weit übersteigen müsse. Die Alte schien sich an meinem Erstaunen zu weiden, wenigstens bewieß dies ein kleines Lächeln ihres Mundes, ihr Auge folgte aber jeder Wendung, welche ich mit dem Ringe vornahm, und blickte oft ängstlich, wenn ich ihn nur ein wenig weit von ihr entfernte. Um nicht ihren Argwohn zu erregen, gab ich ihn zu- rück, und sah dann erst, daß im Ringe einige Buchstaben eingegraben waren, die ich nun nicht mehr lesen konnte. Indeß die Alte den Ring wie- der sorgfältig verbarg, und ihre Brieftasche zu- sammenpackte, begann zwischen uns folgendes Ge- spräch:
Die Alte. Sie staunen? Ich habe es Ihnen, glaub' ich, schon vorher gesagt, daß das Unglück seine Launen hat. Dies ist freilich eine seiner stärksten, aber ich kann mir nicht helfen, der Ring wird mit mir begraben.
Ich. Aber, Madam, Sie haben eine unglück- liche Tochter.
Die Alte. Ja, sie ist sehr unglücklich, denn sie ist wahnsinnig.
Ich. Und wollen das einzige Mittel, welches ihr Unglück lindern könnte, mit in's Grab neh- men?
Die Alte. Was soll einer Wahnsinnigen der Ring nutzen?
haupten kann, daß er den angegebenen Werth noch weit uͤberſteigen muͤſſe. Die Alte ſchien ſich an meinem Erſtaunen zu weiden, wenigſtens bewieß dies ein kleines Laͤcheln ihres Mundes, ihr Auge folgte aber jeder Wendung, welche ich mit dem Ringe vornahm, und blickte oft aͤngſtlich, wenn ich ihn nur ein wenig weit von ihr entfernte. Um nicht ihren Argwohn zu erregen, gab ich ihn zu- ruͤck, und ſah dann erſt, daß im Ringe einige Buchſtaben eingegraben waren, die ich nun nicht mehr leſen konnte. Indeß die Alte den Ring wie- der ſorgfaͤltig verbarg, und ihre Brieftaſche zu- ſammenpackte, begann zwiſchen uns folgendes Ge- ſpraͤch:
Die Alte. Sie ſtaunen? Ich habe es Ihnen, glaub' ich, ſchon vorher geſagt, daß das Ungluͤck ſeine Launen hat. Dies iſt freilich eine ſeiner ſtaͤrkſten, aber ich kann mir nicht helfen, der Ring wird mit mir begraben.
Ich. Aber, Madam, Sie haben eine ungluͤck- liche Tochter.
Die Alte. Ja, ſie iſt ſehr ungluͤcklich, denn ſie iſt wahnſinnig.
Ich. Und wollen das einzige Mittel, welches ihr Ungluͤck lindern koͤnnte, mit in's Grab neh- men?
Die Alte. Was ſoll einer Wahnſinnigen der Ring nutzen?
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haupten kann, daß er den angegebenen Werth noch
weit uͤberſteigen muͤſſe. Die Alte ſchien ſich an
meinem Erſtaunen zu weiden, wenigſtens bewieß
dies ein kleines Laͤcheln ihres Mundes, ihr Auge
folgte aber jeder Wendung, welche ich mit dem
Ringe vornahm, und blickte oft aͤngſtlich, wenn
ich ihn nur ein wenig weit von ihr entfernte. Um
nicht ihren Argwohn zu erregen, gab ich ihn zu-
ruͤck, und ſah dann erſt, daß im Ringe einige
Buchſtaben eingegraben waren, die ich nun nicht
mehr leſen konnte. Indeß die Alte den Ring wie-
der ſorgfaͤltig verbarg, und ihre Brieftaſche zu-
ſammenpackte, begann zwiſchen uns folgendes Ge-
ſpraͤch:
Die Alte. Sie ſtaunen? Ich habe es Ihnen,
glaub' ich, ſchon vorher geſagt, daß das Ungluͤck
ſeine Launen hat. Dies iſt freilich eine ſeiner
ſtaͤrkſten, aber ich kann mir nicht helfen, der
Ring wird mit mir begraben.
Ich. Aber, Madam, Sie haben eine ungluͤck-
liche Tochter.
Die Alte. Ja, ſie iſt ſehr ungluͤcklich, denn
ſie iſt wahnſinnig.
Ich. Und wollen das einzige Mittel, welches
ihr Ungluͤck lindern koͤnnte, mit in's Grab neh-
men?
Die Alte. Was ſoll einer Wahnſinnigen der
Ring nutzen?
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/197>, abgerufen am 23.07.2024.
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