Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ich ihn noch vollendet hatte, kam meine Mutter,
wider ihre Gewohnheit, auf mein Zimmer, strei-
chelte in Gegenwart der Dienstmädchen meine
Wangen, und nannte mich mehr als einmal ihr
gutes, liebes Kind. Wie darauf die Mädchen sich
entfernten, fragte sie mich lächelnd: ob ich nichts
ahnde? Da ich das Gegentheil versicherte, so er-
zählte sie mir ganz offen, daß heute der Tag mei-
ner Verlobung mit dem Grafen S*** gefeiert
würde, daß sie als Mutter mit seinen Eltern
schon alles verabredet und ausgemacht habe, auch
von mir überzeugt zu seyn glaube, daß ich ihre
mütterliche Fürsorge mit Dank erkennen, und das
große Glück, mit einer so ansehnlichen Familie
verwandt zu werden, schätzen und ehren würde.
Sie können sich mein Erstaunen leicht denken, es
war groß und anhaltend. Wie ich zu sprechen ver-
mochte, gestand ich meiner Mutter gradezu, daß
ich fest entschlossen sei, vor meiner Großjährigkeit
nicht zu heurathen, und dann nach eignem Gefal-
len zu wählen. Sie raßte, sie mißhandelte mich,
aber ich blieb standhaft. Sie schwur, daß sie
mich eher mit eignen Händen ermorden, als in
den Armen des elenden Lieutenants sehen wollte,
ich schwieg und weigerte mich endlich eben so fest,
jemals die Gattin des Grafen S*** zu werden.
Meine Mutter wollte mir Bedenkzeit geben, aber
ich verwarf sie, weil fester Entschluß solche nicht
brauche. Alle Versuche, welche noch am nemli-
chen Tage ihre und meine Freunde auf ihren Rath

ich ihn noch vollendet hatte, kam meine Mutter,
wider ihre Gewohnheit, auf mein Zimmer, ſtrei-
chelte in Gegenwart der Dienſtmaͤdchen meine
Wangen, und nannte mich mehr als einmal ihr
gutes, liebes Kind. Wie darauf die Maͤdchen ſich
entfernten, fragte ſie mich laͤchelnd: ob ich nichts
ahnde? Da ich das Gegentheil verſicherte, ſo er-
zaͤhlte ſie mir ganz offen, daß heute der Tag mei-
ner Verlobung mit dem Grafen S*** gefeiert
wuͤrde, daß ſie als Mutter mit ſeinen Eltern
ſchon alles verabredet und ausgemacht habe, auch
von mir uͤberzeugt zu ſeyn glaube, daß ich ihre
muͤtterliche Fuͤrſorge mit Dank erkennen, und das
große Gluͤck, mit einer ſo anſehnlichen Familie
verwandt zu werden, ſchaͤtzen und ehren wuͤrde.
Sie koͤnnen ſich mein Erſtaunen leicht denken, es
war groß und anhaltend. Wie ich zu ſprechen ver-
mochte, geſtand ich meiner Mutter gradezu, daß
ich feſt entſchloſſen ſei, vor meiner Großjaͤhrigkeit
nicht zu heurathen, und dann nach eignem Gefal-
len zu waͤhlen. Sie raßte, ſie mißhandelte mich,
aber ich blieb ſtandhaft. Sie ſchwur, daß ſie
mich eher mit eignen Haͤnden ermorden, als in
den Armen des elenden Lieutenants ſehen wollte,
ich ſchwieg und weigerte mich endlich eben ſo feſt,
jemals die Gattin des Grafen S*** zu werden.
Meine Mutter wollte mir Bedenkzeit geben, aber
ich verwarf ſie, weil feſter Entſchluß ſolche nicht
brauche. Alle Verſuche, welche noch am nemli-
chen Tage ihre und meine Freunde auf ihren Rath

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0182" n="168"/>
ich ihn noch vollendet hatte, kam meine                     Mutter,<lb/>
wider ihre Gewohnheit, auf mein Zimmer, &#x017F;trei-<lb/>
chelte in                     Gegenwart der Dien&#x017F;tma&#x0364;dchen meine<lb/>
Wangen, und nannte mich mehr als einmal                     ihr<lb/>
gutes, liebes Kind. Wie darauf die Ma&#x0364;dchen &#x017F;ich<lb/>
entfernten, fragte                     &#x017F;ie mich la&#x0364;chelnd: ob ich nichts<lb/>
ahnde? Da ich das Gegentheil ver&#x017F;icherte,                     &#x017F;o er-<lb/>
za&#x0364;hlte &#x017F;ie mir ganz offen, daß heute der Tag mei-<lb/>
ner Verlobung                     mit dem Grafen S*** gefeiert<lb/>
wu&#x0364;rde, daß &#x017F;ie als Mutter mit &#x017F;einen                     Eltern<lb/>
&#x017F;chon alles verabredet und ausgemacht habe, auch<lb/>
von mir                     u&#x0364;berzeugt zu &#x017F;eyn glaube, daß ich ihre<lb/>
mu&#x0364;tterliche Fu&#x0364;r&#x017F;orge mit Dank                     erkennen, und das<lb/>
große Glu&#x0364;ck, mit einer &#x017F;o an&#x017F;ehnlichen                     Familie<lb/>
verwandt zu werden, &#x017F;cha&#x0364;tzen und ehren wu&#x0364;rde.<lb/>
Sie ko&#x0364;nnen &#x017F;ich                     mein Er&#x017F;taunen leicht denken, es<lb/>
war groß und anhaltend. Wie ich zu &#x017F;prechen                     ver-<lb/>
mochte, ge&#x017F;tand ich meiner Mutter gradezu, daß<lb/>
ich fe&#x017F;t                     ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ei, vor meiner Großja&#x0364;hrigkeit<lb/>
nicht zu heurathen, und dann                     nach eignem Gefal-<lb/>
len zu wa&#x0364;hlen. Sie raßte, &#x017F;ie mißhandelte mich,<lb/>
aber                     ich blieb &#x017F;tandhaft. Sie &#x017F;chwur, daß &#x017F;ie<lb/>
mich eher mit eignen Ha&#x0364;nden                     ermorden, als in<lb/>
den Armen des elenden Lieutenants &#x017F;ehen wollte,<lb/>
ich                     &#x017F;chwieg und weigerte mich endlich eben &#x017F;o fe&#x017F;t,<lb/>
jemals die Gattin des Grafen                     S*** zu werden.<lb/>
Meine Mutter wollte mir Bedenkzeit geben, aber<lb/>
ich                     verwarf &#x017F;ie, weil fe&#x017F;ter Ent&#x017F;chluß &#x017F;olche nicht<lb/>
brauche. Alle Ver&#x017F;uche,                     welche noch am nemli-<lb/>
chen Tage ihre und meine Freunde auf ihren                         Rath<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0182] ich ihn noch vollendet hatte, kam meine Mutter, wider ihre Gewohnheit, auf mein Zimmer, ſtrei- chelte in Gegenwart der Dienſtmaͤdchen meine Wangen, und nannte mich mehr als einmal ihr gutes, liebes Kind. Wie darauf die Maͤdchen ſich entfernten, fragte ſie mich laͤchelnd: ob ich nichts ahnde? Da ich das Gegentheil verſicherte, ſo er- zaͤhlte ſie mir ganz offen, daß heute der Tag mei- ner Verlobung mit dem Grafen S*** gefeiert wuͤrde, daß ſie als Mutter mit ſeinen Eltern ſchon alles verabredet und ausgemacht habe, auch von mir uͤberzeugt zu ſeyn glaube, daß ich ihre muͤtterliche Fuͤrſorge mit Dank erkennen, und das große Gluͤck, mit einer ſo anſehnlichen Familie verwandt zu werden, ſchaͤtzen und ehren wuͤrde. Sie koͤnnen ſich mein Erſtaunen leicht denken, es war groß und anhaltend. Wie ich zu ſprechen ver- mochte, geſtand ich meiner Mutter gradezu, daß ich feſt entſchloſſen ſei, vor meiner Großjaͤhrigkeit nicht zu heurathen, und dann nach eignem Gefal- len zu waͤhlen. Sie raßte, ſie mißhandelte mich, aber ich blieb ſtandhaft. Sie ſchwur, daß ſie mich eher mit eignen Haͤnden ermorden, als in den Armen des elenden Lieutenants ſehen wollte, ich ſchwieg und weigerte mich endlich eben ſo feſt, jemals die Gattin des Grafen S*** zu werden. Meine Mutter wollte mir Bedenkzeit geben, aber ich verwarf ſie, weil feſter Entſchluß ſolche nicht brauche. Alle Verſuche, welche noch am nemli- chen Tage ihre und meine Freunde auf ihren Rath

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/182
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/182>, abgerufen am 25.11.2024.