Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

daß er meiner, bis ich großjährig wäre, harren,
und dann mein Herz und Vermögen zum Lohne
erhalten solle. Ob er mir dagegen auch etwas an-
ders als sein Herz versichern könne? wurde von
mir nie gefragt, denn ächte, reine Liebe achtet
keines Reichthums, und dünkt sich auch in einer
Strohhütte glücklich.

Als er endlich scheiden mußte, da vermochte
ich mich kaum zu fassen; meine hartherzige Mut-
ter machte mir darüber die bittersten Vorwürfe,
und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn
ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erschien; aber
ich duldete um seinetwillen, und freute mich, daß
ich dadurch seiner Liebe ein Opfer bringen konnte.
Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt,
als schon der junge und sehr reiche Graf S***
auf unserm Schlosse anlangte, und mich sogleich
im festen Tone versicherte, daß er aus Liebe zu
mir in so schlechtem Wege die Hauptstadt verlas-
sen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erschie-
nen sei, und gab's ihm im ersten Gespräche zu
verstehen, daß er wieder ohne Hoffnung scheiden
müsse. Er schien's nicht zu achten, er beschäftig-
te sich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa-
zierfahrten, die er in Gesellschaft meiner Mutter
im Gebiete meiner Herrschaft unternahm. Einige
Tage nachher ließ mir meine Mutter sagen, daß
heute viele Gäste ankommen würden, und ich da-
her meinen Anzug darnach einrichten sollte. Ehe

daß er meiner, bis ich großjaͤhrig waͤre, harren,
und dann mein Herz und Vermoͤgen zum Lohne
erhalten ſolle. Ob er mir dagegen auch etwas an-
ders als ſein Herz verſichern koͤnne? wurde von
mir nie gefragt, denn aͤchte, reine Liebe achtet
keines Reichthums, und duͤnkt ſich auch in einer
Strohhuͤtte gluͤcklich.

Als er endlich ſcheiden mußte, da vermochte
ich mich kaum zu faſſen; meine hartherzige Mut-
ter machte mir daruͤber die bitterſten Vorwuͤrfe,
und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn
ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erſchien; aber
ich duldete um ſeinetwillen, und freute mich, daß
ich dadurch ſeiner Liebe ein Opfer bringen konnte.
Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt,
als ſchon der junge und ſehr reiche Graf S***
auf unſerm Schloſſe anlangte, und mich ſogleich
im feſten Tone verſicherte, daß er aus Liebe zu
mir in ſo ſchlechtem Wege die Hauptſtadt verlaſ-
ſen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erſchie-
nen ſei, und gab's ihm im erſten Geſpraͤche zu
verſtehen, daß er wieder ohne Hoffnung ſcheiden
muͤſſe. Er ſchien's nicht zu achten, er beſchaͤftig-
te ſich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa-
zierfahrten, die er in Geſellſchaft meiner Mutter
im Gebiete meiner Herrſchaft unternahm. Einige
Tage nachher ließ mir meine Mutter ſagen, daß
heute viele Gaͤſte ankommen wuͤrden, und ich da-
her meinen Anzug darnach einrichten ſollte. Ehe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="167"/>
daß er meiner, bis ich großja&#x0364;hrig wa&#x0364;re,                     harren,<lb/>
und dann mein Herz und Vermo&#x0364;gen zum Lohne<lb/>
erhalten &#x017F;olle. Ob er                     mir dagegen auch etwas an-<lb/>
ders als &#x017F;ein Herz ver&#x017F;ichern ko&#x0364;nne? wurde                     von<lb/>
mir nie gefragt, denn a&#x0364;chte, reine Liebe achtet<lb/>
keines Reichthums,                     und du&#x0364;nkt &#x017F;ich auch in einer<lb/>
Strohhu&#x0364;tte glu&#x0364;cklich.</p><lb/>
        <p>Als er endlich &#x017F;cheiden mußte, da vermochte<lb/>
ich mich kaum zu fa&#x017F;&#x017F;en; meine                     hartherzige Mut-<lb/>
ter machte mir daru&#x0364;ber die bitter&#x017F;ten Vorwu&#x0364;rfe,<lb/>
und                     bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn<lb/>
ich mit rothgeweinten Augen vor                     ihr er&#x017F;chien; aber<lb/>
ich duldete um &#x017F;einetwillen, und freute mich, daß<lb/>
ich                     dadurch &#x017F;einer Liebe ein Opfer bringen konnte.<lb/>
Noch war er nicht acht Tage                     von mir entfernt,<lb/>
als &#x017F;chon der junge und &#x017F;ehr reiche Graf S***<lb/>
auf                     un&#x017F;erm Schlo&#x017F;&#x017F;e anlangte, und mich &#x017F;ogleich<lb/>
im fe&#x017F;ten Tone ver&#x017F;icherte, daß                     er aus Liebe zu<lb/>
mir in &#x017F;o &#x017F;chlechtem Wege die Haupt&#x017F;tadt verla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en.                     Ich ahndete, daß er nicht ungerufen er&#x017F;chie-<lb/>
nen &#x017F;ei, und gab's ihm im                     er&#x017F;ten Ge&#x017F;pra&#x0364;che zu<lb/>
ver&#x017F;tehen, daß er wieder ohne Hoffnung                     &#x017F;cheiden<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Er &#x017F;chien's nicht zu achten, er be&#x017F;cha&#x0364;ftig-<lb/>
te &#x017F;ich                     einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa-<lb/>
zierfahrten, die er in                     Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft meiner Mutter<lb/>
im Gebiete meiner Herr&#x017F;chaft unternahm.                     Einige<lb/>
Tage nachher ließ mir meine Mutter &#x017F;agen, daß<lb/>
heute viele Ga&#x0364;&#x017F;te                     ankommen wu&#x0364;rden, und ich da-<lb/>
her meinen Anzug darnach einrichten &#x017F;ollte.                         Ehe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] daß er meiner, bis ich großjaͤhrig waͤre, harren, und dann mein Herz und Vermoͤgen zum Lohne erhalten ſolle. Ob er mir dagegen auch etwas an- ders als ſein Herz verſichern koͤnne? wurde von mir nie gefragt, denn aͤchte, reine Liebe achtet keines Reichthums, und duͤnkt ſich auch in einer Strohhuͤtte gluͤcklich. Als er endlich ſcheiden mußte, da vermochte ich mich kaum zu faſſen; meine hartherzige Mut- ter machte mir daruͤber die bitterſten Vorwuͤrfe, und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erſchien; aber ich duldete um ſeinetwillen, und freute mich, daß ich dadurch ſeiner Liebe ein Opfer bringen konnte. Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt, als ſchon der junge und ſehr reiche Graf S*** auf unſerm Schloſſe anlangte, und mich ſogleich im feſten Tone verſicherte, daß er aus Liebe zu mir in ſo ſchlechtem Wege die Hauptſtadt verlaſ- ſen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erſchie- nen ſei, und gab's ihm im erſten Geſpraͤche zu verſtehen, daß er wieder ohne Hoffnung ſcheiden muͤſſe. Er ſchien's nicht zu achten, er beſchaͤftig- te ſich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa- zierfahrten, die er in Geſellſchaft meiner Mutter im Gebiete meiner Herrſchaft unternahm. Einige Tage nachher ließ mir meine Mutter ſagen, daß heute viele Gaͤſte ankommen wuͤrden, und ich da- her meinen Anzug darnach einrichten ſollte. Ehe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/181
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/181>, abgerufen am 24.11.2024.