der mich hinderte, meinen Karl einige Augenblicke länger zu sehen, und zu sprechen. Ach, die Tage unsrer damaligen Liebe waren so selig, flossen so schnell vorüber! Wenn ich in seinen Armen die bunten Reihen durchwalzen konnte, wenn meine Wange dann an der seinigen ruhte, und er im schnellen Fluge mir einen Kuß raubte, da dünkte ich mich glücklicher als eine Königin, die über vie- le Länder regiert, und Millionen Unterthanen be- herrscht. Ich will Ihnen den herrlichen Genuß dieser Liebe nicht länger schildern, im Munde ei- nes alten Weibes kann solch eine Schilderung nicht wohl klingen, man hält's für unmöglich, daß solch ein Gerippe einst Liebe erregen konnte, und fähig war, wieder zu lieben. Der immer aufmerksame Blick meiner Mutter bemerkte unsre Liebe bald, sie befragte mich darüber im streng- sten Tone, und versicherte mich hoch und theuer, daß mir ihr Fluch werden sollte, wenn ich mich unterstünde, dem elenden Lieutenante Liebe zu versprechen; sie habe, fügte sie hinzu, eine weit bessere und ansehnlichere Parthie im Vorschlage, und würde mir solche schon entdecken, wenn sie alles in Richtigkeit gebracht hätte. Ob solch eine Drohung meine zärtliche Liebe schwächen, oder hindern konnte? überlasse ich Ihrem eignen Urthei- le, sie machte mich nur etwas vorsichtiger, wenn heftige Liebe anders vorsichtig handeln kann. Ehe noch die Winterquartiere sich endigten, war unter uns schon fest verabredet und beschlossen,
der mich hinderte, meinen Karl einige Augenblicke laͤnger zu ſehen, und zu ſprechen. Ach, die Tage unſrer damaligen Liebe waren ſo ſelig, floſſen ſo ſchnell voruͤber! Wenn ich in ſeinen Armen die bunten Reihen durchwalzen konnte, wenn meine Wange dann an der ſeinigen ruhte, und er im ſchnellen Fluge mir einen Kuß raubte, da duͤnkte ich mich gluͤcklicher als eine Koͤnigin, die uͤber vie- le Laͤnder regiert, und Millionen Unterthanen be- herrſcht. Ich will Ihnen den herrlichen Genuß dieſer Liebe nicht laͤnger ſchildern, im Munde ei- nes alten Weibes kann ſolch eine Schilderung nicht wohl klingen, man haͤlt's fuͤr unmoͤglich, daß ſolch ein Gerippe einſt Liebe erregen konnte, und faͤhig war, wieder zu lieben. Der immer aufmerkſame Blick meiner Mutter bemerkte unſre Liebe bald, ſie befragte mich daruͤber im ſtreng- ſten Tone, und verſicherte mich hoch und theuer, daß mir ihr Fluch werden ſollte, wenn ich mich unterſtuͤnde, dem elenden Lieutenante Liebe zu verſprechen; ſie habe, fuͤgte ſie hinzu, eine weit beſſere und anſehnlichere Parthie im Vorſchlage, und wuͤrde mir ſolche ſchon entdecken, wenn ſie alles in Richtigkeit gebracht haͤtte. Ob ſolch eine Drohung meine zaͤrtliche Liebe ſchwaͤchen, oder hindern konnte? uͤberlaſſe ich Ihrem eignen Urthei- le, ſie machte mich nur etwas vorſichtiger, wenn heftige Liebe anders vorſichtig handeln kann. Ehe noch die Winterquartiere ſich endigten, war unter uns ſchon feſt verabredet und beſchloſſen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0180"n="166"/>
der mich hinderte, meinen Karl einige Augenblicke<lb/>
laͤnger zu ſehen, und zu ſprechen. Ach, die Tage<lb/>
unſrer damaligen Liebe waren ſo ſelig, floſſen ſo<lb/>ſchnell voruͤber! Wenn ich in ſeinen Armen die<lb/>
bunten Reihen durchwalzen konnte, wenn meine<lb/>
Wange dann an der ſeinigen ruhte, und er im<lb/>ſchnellen Fluge mir einen Kuß raubte, da duͤnkte<lb/>
ich mich gluͤcklicher als eine Koͤnigin, die uͤber vie-<lb/>
le Laͤnder regiert, und Millionen Unterthanen be-<lb/>
herrſcht. Ich will Ihnen den herrlichen Genuß<lb/>
dieſer Liebe nicht laͤnger ſchildern, im Munde ei-<lb/>
nes alten Weibes kann ſolch eine Schilderung<lb/>
nicht wohl klingen, man haͤlt's fuͤr unmoͤglich,<lb/>
daß ſolch ein Gerippe einſt Liebe erregen konnte,<lb/>
und faͤhig war, wieder zu lieben. Der immer<lb/>
aufmerkſame Blick meiner Mutter bemerkte unſre<lb/>
Liebe bald, ſie befragte mich daruͤber im ſtreng-<lb/>ſten Tone, und verſicherte mich hoch und theuer,<lb/>
daß mir ihr Fluch werden ſollte, wenn ich mich<lb/>
unterſtuͤnde, dem elenden Lieutenante Liebe zu<lb/>
verſprechen; ſie habe, fuͤgte ſie hinzu, eine weit<lb/>
beſſere und anſehnlichere Parthie im Vorſchlage,<lb/>
und wuͤrde mir ſolche ſchon entdecken, wenn ſie<lb/>
alles in Richtigkeit gebracht haͤtte. Ob ſolch eine<lb/>
Drohung meine zaͤrtliche Liebe ſchwaͤchen, oder<lb/>
hindern konnte? uͤberlaſſe ich Ihrem eignen Urthei-<lb/>
le, ſie machte mich nur etwas vorſichtiger, wenn<lb/>
heftige Liebe anders vorſichtig handeln kann.<lb/>
Ehe noch die Winterquartiere ſich endigten, war<lb/>
unter uns ſchon feſt verabredet und beſchloſſen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[166/0180]
der mich hinderte, meinen Karl einige Augenblicke
laͤnger zu ſehen, und zu ſprechen. Ach, die Tage
unſrer damaligen Liebe waren ſo ſelig, floſſen ſo
ſchnell voruͤber! Wenn ich in ſeinen Armen die
bunten Reihen durchwalzen konnte, wenn meine
Wange dann an der ſeinigen ruhte, und er im
ſchnellen Fluge mir einen Kuß raubte, da duͤnkte
ich mich gluͤcklicher als eine Koͤnigin, die uͤber vie-
le Laͤnder regiert, und Millionen Unterthanen be-
herrſcht. Ich will Ihnen den herrlichen Genuß
dieſer Liebe nicht laͤnger ſchildern, im Munde ei-
nes alten Weibes kann ſolch eine Schilderung
nicht wohl klingen, man haͤlt's fuͤr unmoͤglich,
daß ſolch ein Gerippe einſt Liebe erregen konnte,
und faͤhig war, wieder zu lieben. Der immer
aufmerkſame Blick meiner Mutter bemerkte unſre
Liebe bald, ſie befragte mich daruͤber im ſtreng-
ſten Tone, und verſicherte mich hoch und theuer,
daß mir ihr Fluch werden ſollte, wenn ich mich
unterſtuͤnde, dem elenden Lieutenante Liebe zu
verſprechen; ſie habe, fuͤgte ſie hinzu, eine weit
beſſere und anſehnlichere Parthie im Vorſchlage,
und wuͤrde mir ſolche ſchon entdecken, wenn ſie
alles in Richtigkeit gebracht haͤtte. Ob ſolch eine
Drohung meine zaͤrtliche Liebe ſchwaͤchen, oder
hindern konnte? uͤberlaſſe ich Ihrem eignen Urthei-
le, ſie machte mich nur etwas vorſichtiger, wenn
heftige Liebe anders vorſichtig handeln kann.
Ehe noch die Winterquartiere ſich endigten, war
unter uns ſchon feſt verabredet und beſchloſſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/180>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.