zwei Thürme hervor, diese zieren das Schloß, in welchem ich gebohren und erzogen wurde. Mein Vater war der Besitzer desselben, und Herr dieser großen, ansehnlichen Herrschaft, ich war die ein- zige Frucht seiner Ehe, in welcher er sehr mißver- gnügt lebte. Er starb in der Mitte des siebenjäh- rigen Kriegs, und machte mich zur Erbin seines großen Vermögens, welches in mehr als einer halben Million bestand. Ich war damals acht- zehn Jahr alt, und, wie mich wenigstens alle versicherten, sehr schön. Daß um die Hand einer so reichen Erbin viele angesehne und vornehme Jünglinge buhlten, können Sie leicht denken, aber obgleich das Schloß selten von Freiern leer war, so geschah's doch, daß ich durch zwei lange Jahre nicht wählte, und immer noch ledig blieb. Meine Mutter, welche mich von früher Jugend an als eine wahre Tirannin behandelte, mir nie einen mütterlichen Blick gewährte, und nun meine Vormünderin geworden war, hielt's für Pflicht, sich stets in die Angelegenheiten meines Herzens zu mischen. So oft ein Freier sich mir nahte, so oft war sie auch sogleich mit ihrem entscheidenden Rathe zugegen. Diesen, sprach sie dann immer, kannst du nehmen, an diesen oder jenen darfst du aber nicht denken! da nun meine Empfindung nie mit der mütterlichen harmonirte, da ich immer nur denjenigen wählen wollte, an welchen ich doch, ihrem Ausspruche gemäß, nie denken sollte, so unterblieb auch ganz natürlich jede Heirath.
zwei Thuͤrme hervor, dieſe zieren das Schloß, in welchem ich gebohren und erzogen wurde. Mein Vater war der Beſitzer deſſelben, und Herr dieſer großen, anſehnlichen Herrſchaft, ich war die ein- zige Frucht ſeiner Ehe, in welcher er ſehr mißver- gnuͤgt lebte. Er ſtarb in der Mitte des ſiebenjaͤh- rigen Kriegs, und machte mich zur Erbin ſeines großen Vermoͤgens, welches in mehr als einer halben Million beſtand. Ich war damals acht- zehn Jahr alt, und, wie mich wenigſtens alle verſicherten, ſehr ſchoͤn. Daß um die Hand einer ſo reichen Erbin viele angeſehne und vornehme Juͤnglinge buhlten, koͤnnen Sie leicht denken, aber obgleich das Schloß ſelten von Freiern leer war, ſo geſchah's doch, daß ich durch zwei lange Jahre nicht waͤhlte, und immer noch ledig blieb. Meine Mutter, welche mich von fruͤher Jugend an als eine wahre Tirannin behandelte, mir nie einen muͤtterlichen Blick gewaͤhrte, und nun meine Vormuͤnderin geworden war, hielt's fuͤr Pflicht, ſich ſtets in die Angelegenheiten meines Herzens zu miſchen. So oft ein Freier ſich mir nahte, ſo oft war ſie auch ſogleich mit ihrem entſcheidenden Rathe zugegen. Dieſen, ſprach ſie dann immer, kannſt du nehmen, an dieſen oder jenen darfſt du aber nicht denken! da nun meine Empfindung nie mit der muͤtterlichen harmonirte, da ich immer nur denjenigen waͤhlen wollte, an welchen ich doch, ihrem Ausſpruche gemaͤß, nie denken ſollte, ſo unterblieb auch ganz natuͤrlich jede Heirath.
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zwei Thuͤrme hervor, dieſe zieren das Schloß, in
welchem ich gebohren und erzogen wurde. Mein
Vater war der Beſitzer deſſelben, und Herr dieſer
großen, anſehnlichen Herrſchaft, ich war die ein-
zige Frucht ſeiner Ehe, in welcher er ſehr mißver-
gnuͤgt lebte. Er ſtarb in der Mitte des ſiebenjaͤh-
rigen Kriegs, und machte mich zur Erbin ſeines
großen Vermoͤgens, welches in mehr als einer
halben Million beſtand. Ich war damals acht-
zehn Jahr alt, und, wie mich wenigſtens alle
verſicherten, ſehr ſchoͤn. Daß um die Hand einer
ſo reichen Erbin viele angeſehne und vornehme
Juͤnglinge buhlten, koͤnnen Sie leicht denken,
aber obgleich das Schloß ſelten von Freiern leer
war, ſo geſchah's doch, daß ich durch zwei lange
Jahre nicht waͤhlte, und immer noch ledig blieb.
Meine Mutter, welche mich von fruͤher Jugend
an als eine wahre Tirannin behandelte, mir nie
einen muͤtterlichen Blick gewaͤhrte, und nun meine
Vormuͤnderin geworden war, hielt's fuͤr Pflicht,
ſich ſtets in die Angelegenheiten meines Herzens zu
miſchen. So oft ein Freier ſich mir nahte, ſo
oft war ſie auch ſogleich mit ihrem entſcheidenden
Rathe zugegen. Dieſen, ſprach ſie dann immer,
kannſt du nehmen, an dieſen oder jenen darfſt du
aber nicht denken! da nun meine Empfindung nie
mit der muͤtterlichen harmonirte, da ich immer
nur denjenigen waͤhlen wollte, an welchen ich
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/178>, abgerufen am 23.07.2024.
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