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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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jungen Raben füttert, aber daß der Mensch ein
gleiches erwarten, und fordern kann, davon steht
nichts geschrieben. Sorgt nicht für den andern
Morgen, heißt's nur, denn jeder Tag hat seine
Plage! (bitter lachend) Ja, ja, er hat sie
im vollen Maaß. -- -- Die Freuden des Him-
mels müssen ewig dauern, müssen alle Beschrei-
bung übertreffen, wenn sie Ersatz für das irrdische
Leiden seyn sollen!

Ich. Haben Sie denn gar keine Freunde,
von denen Sie Unterstützung erwarten könnten?

Die Alte. Freunde? Bester Herr, diese
Frage war wohl sehr überflüssig! Kann Feuer
und Wasser in Harmonie mit einander bestehen?
Nun, Sie antworten nicht? Sie halten's für
unnöthig, und haben recht. Ich habe Freunde,
aber sie sind vornehm und reich, sie fühlen die
Qualen der Armuth nicht, sie schämen sich meiner,
und fliehen, wenn ich mich nahe.

Ich. Das ist schrecklich!

Die Alte. Nein, das ist es nicht! In die-
sem Falle denken wir verschieden. Der Stolz mei-
ner Freunde kränkt mich nicht, ich habe Kraft ge-
nug, ihn zu verachten. Ich würde eher Hunger
sterben, mein einziges Kind lieber verschmachten
sehen, ehe ich einen Pfennig aus ihrer Hand an-
nehme. Tadeln Sie diesen Vorsatz nicht, das
Elend hat auch seine Launen, und diese ist bei mir

Erst. Bändch. L

jungen Raben fuͤttert, aber daß der Menſch ein
gleiches erwarten, und fordern kann, davon ſteht
nichts geſchrieben. Sorgt nicht fuͤr den andern
Morgen, heißt's nur, denn jeder Tag hat ſeine
Plage! (bitter lachend) Ja, ja, er hat ſie
im vollen Maaß. — — Die Freuden des Him-
mels muͤſſen ewig dauern, muͤſſen alle Beſchrei-
bung uͤbertreffen, wenn ſie Erſatz fuͤr das irrdiſche
Leiden ſeyn ſollen!

Ich. Haben Sie denn gar keine Freunde,
von denen Sie Unterſtuͤtzung erwarten koͤnnten?

Die Alte. Freunde? Beſter Herr, dieſe
Frage war wohl ſehr uͤberfluͤſſig! Kann Feuer
und Waſſer in Harmonie mit einander beſtehen?
Nun, Sie antworten nicht? Sie halten's fuͤr
unnoͤthig, und haben recht. Ich habe Freunde,
aber ſie ſind vornehm und reich, ſie fuͤhlen die
Qualen der Armuth nicht, ſie ſchaͤmen ſich meiner,
und fliehen, wenn ich mich nahe.

Ich. Das iſt ſchrecklich!

Die Alte. Nein, das iſt es nicht! In die-
ſem Falle denken wir verſchieden. Der Stolz mei-
ner Freunde kraͤnkt mich nicht, ich habe Kraft ge-
nug, ihn zu verachten. Ich wuͤrde eher Hunger
ſterben, mein einziges Kind lieber verſchmachten
ſehen, ehe ich einen Pfennig aus ihrer Hand an-
nehme. Tadeln Sie dieſen Vorſatz nicht, das
Elend hat auch ſeine Launen, und dieſe iſt bei mir

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[161/0175] jungen Raben fuͤttert, aber daß der Menſch ein gleiches erwarten, und fordern kann, davon ſteht nichts geſchrieben. Sorgt nicht fuͤr den andern Morgen, heißt's nur, denn jeder Tag hat ſeine Plage! (bitter lachend) Ja, ja, er hat ſie im vollen Maaß. — — Die Freuden des Him- mels muͤſſen ewig dauern, muͤſſen alle Beſchrei- bung uͤbertreffen, wenn ſie Erſatz fuͤr das irrdiſche Leiden ſeyn ſollen! Ich. Haben Sie denn gar keine Freunde, von denen Sie Unterſtuͤtzung erwarten koͤnnten? Die Alte. Freunde? Beſter Herr, dieſe Frage war wohl ſehr uͤberfluͤſſig! Kann Feuer und Waſſer in Harmonie mit einander beſtehen? Nun, Sie antworten nicht? Sie halten's fuͤr unnoͤthig, und haben recht. Ich habe Freunde, aber ſie ſind vornehm und reich, ſie fuͤhlen die Qualen der Armuth nicht, ſie ſchaͤmen ſich meiner, und fliehen, wenn ich mich nahe. Ich. Das iſt ſchrecklich! Die Alte. Nein, das iſt es nicht! In die- ſem Falle denken wir verſchieden. Der Stolz mei- ner Freunde kraͤnkt mich nicht, ich habe Kraft ge- nug, ihn zu verachten. Ich wuͤrde eher Hunger ſterben, mein einziges Kind lieber verſchmachten ſehen, ehe ich einen Pfennig aus ihrer Hand an- nehme. Tadeln Sie dieſen Vorſatz nicht, das Elend hat auch ſeine Launen, und dieſe iſt bei mir Erſt. Baͤndch. L

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/175>, abgerufen am 28.11.2024.