winnen suchte. Sie blickte mir forschend in's Ge- sichte, und sah dann sehnsuchtsvoll meinen Wagen an, der nahe bei ihr vorüber fuhr. Dort hinten, sprach sie leise, könnte mein Holz recht gut liegen, wenn's der Herr erlaubte, die starken Pferde wür- den es kaum merken. -- -- Ich rief meinen Kut- scher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng nun auf dem Fußsteige neben ihr her.
Die Alte. Bezahl's Gott tausendmal! Sie fahren doch durch das Dorf, welches unten im Thale liegt?
Ich. Ja.
Die Alte. Und nehmen bis dahin mein Holz mit?
Ich. Von Herzen gerne.
Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch einmal, denn (sich voll schmerzhaftem Gefühle anblickend) von mir werden Sie doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! --
Ich wollte eben das Gespräch fortsetzen und sie von meiner Uneigennützigkeit überzeugen, als der sonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu- gierde weckte; er war zwar äußerst armselig, aber er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einst schön gewesen war. Sie trug einen weißen Rock, der freilich jetzt sehr gelb, durchgängig sehr geflickt, und bei solcher Arbeit äußerst schmuzig aussah, aber der Stoff bestand aus dem feinsten Parchet,
winnen ſuchte. Sie blickte mir forſchend in's Ge- ſichte, und ſah dann ſehnſuchtsvoll meinen Wagen an, der nahe bei ihr voruͤber fuhr. Dort hinten, ſprach ſie leiſe, koͤnnte mein Holz recht gut liegen, wenn's der Herr erlaubte, die ſtarken Pferde wuͤr- den es kaum merken. — — Ich rief meinen Kut- ſcher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng nun auf dem Fußſteige neben ihr her.
Die Alte. Bezahl's Gott tauſendmal! Sie fahren doch durch das Dorf, welches unten im Thale liegt?
Ich. Ja.
Die Alte. Und nehmen bis dahin mein Holz mit?
Ich. Von Herzen gerne.
Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch einmal, denn (ſich voll ſchmerzhaftem Gefuͤhle anblickend) von mir werden Sie doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! —
Ich wollte eben das Geſpraͤch fortſetzen und ſie von meiner Uneigennuͤtzigkeit uͤberzeugen, als der ſonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu- gierde weckte; er war zwar aͤußerſt armſelig, aber er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einſt ſchoͤn geweſen war. Sie trug einen weißen Rock, der freilich jetzt ſehr gelb, durchgaͤngig ſehr geflickt, und bei ſolcher Arbeit aͤußerſt ſchmuzig ausſah, aber der Stoff beſtand aus dem feinſten Parchet,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0170"n="156"/>
winnen ſuchte. Sie blickte mir forſchend in's Ge-<lb/>ſichte, und ſah dann ſehnſuchtsvoll meinen Wagen<lb/>
an, der nahe bei ihr voruͤber fuhr. Dort hinten,<lb/>ſprach ſie leiſe, koͤnnte mein Holz recht gut liegen,<lb/>
wenn's der Herr erlaubte, die ſtarken Pferde wuͤr-<lb/>
den es kaum merken. —— Ich rief meinen Kut-<lb/>ſcher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng<lb/>
nun auf dem Fußſteige neben ihr her.</p><lb/><p><hirendition="#g">Die Alte</hi>. Bezahl's Gott tauſendmal! Sie<lb/>
fahren doch durch das Dorf, welches unten im<lb/>
Thale liegt?</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich</hi>. Ja.</p><lb/><p><hirendition="#g">Die Alte</hi>. Und nehmen bis dahin mein<lb/>
Holz mit?</p><lb/><p><hirendition="#g">Ich</hi>. Von Herzen gerne.</p><lb/><p><hirendition="#g">Die Alte</hi>. So bezahle es Ihnen Gott noch<lb/>
einmal, denn <hirendition="#g">(ſich voll ſchmerzhaftem<lb/>
Gefuͤhle anblickend)</hi> von mir werden Sie<lb/>
doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! —</p><lb/><p>Ich wollte eben das Geſpraͤch fortſetzen und<lb/>ſie von meiner Uneigennuͤtzigkeit uͤberzeugen, als<lb/>
der ſonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu-<lb/>
gierde weckte; er war zwar aͤußerſt armſelig, aber<lb/>
er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einſt<lb/>ſchoͤn geweſen war. Sie trug einen weißen Rock,<lb/>
der freilich jetzt ſehr gelb, durchgaͤngig ſehr geflickt,<lb/>
und bei ſolcher Arbeit aͤußerſt ſchmuzig ausſah,<lb/>
aber der Stoff beſtand aus dem feinſten Parchet,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[156/0170]
winnen ſuchte. Sie blickte mir forſchend in's Ge-
ſichte, und ſah dann ſehnſuchtsvoll meinen Wagen
an, der nahe bei ihr voruͤber fuhr. Dort hinten,
ſprach ſie leiſe, koͤnnte mein Holz recht gut liegen,
wenn's der Herr erlaubte, die ſtarken Pferde wuͤr-
den es kaum merken. — — Ich rief meinen Kut-
ſcher herbei, ließ das Holz aufladen, und gieng
nun auf dem Fußſteige neben ihr her.
Die Alte. Bezahl's Gott tauſendmal! Sie
fahren doch durch das Dorf, welches unten im
Thale liegt?
Ich. Ja.
Die Alte. Und nehmen bis dahin mein
Holz mit?
Ich. Von Herzen gerne.
Die Alte. So bezahle es Ihnen Gott noch
einmal, denn (ſich voll ſchmerzhaftem
Gefuͤhle anblickend) von mir werden Sie
doch kein andres Trinkgeld als Dank erwarten! —
Ich wollte eben das Geſpraͤch fortſetzen und
ſie von meiner Uneigennuͤtzigkeit uͤberzeugen, als
der ſonderbare Anzug der Alten meine ganze Neu-
gierde weckte; er war zwar aͤußerſt armſelig, aber
er verrieth doch deutliche Spuren, daß er einſt
ſchoͤn geweſen war. Sie trug einen weißen Rock,
der freilich jetzt ſehr gelb, durchgaͤngig ſehr geflickt,
und bei ſolcher Arbeit aͤußerſt ſchmuzig ausſah,
aber der Stoff beſtand aus dem feinſten Parchet,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/170>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.