Heiter gieng am Abende des letzten Aprils die Sonne unter, rein und glänzend stieg sie am fol- genden Morgen über die Gebirge empor, und ver- kündigte mit freundlichem Blicke der erwachenden Erde, daß mir ihr der junge, blumenreiche Mai nahe. Ihre Strahlen weckten mich, ich erstieg froh und munter die hohen Gebirge, welche von allen Seiten die böhmische Bergstadt Ellbogen um- fassen, in ihrem engen Schooße zwar väterlich für Sturm und Wetter schützen, aber auch nur karg und sparsam auf ihrem magern Rücken ernähren. Schon lange hatte ich nicht frei geathmet; der mehr als launigte, oft heimtückische April hatte mich zwar oft mit lachendem Blicke zum Spa- ziergange geladen, aber auch selten ungeneckt wieder heim ziehen lassen. Immer jagte mich sein kalter Freund, der böse Nordwind, vom Berge herab, oft überraschte er mich mit einem schnellen Regenschauer, wenn ich, im Thale gelagert, mich
Erst. Bändch. A
Katharine P***rin.
Heiter gieng am Abende des letzten Aprils die Sonne unter, rein und glaͤnzend ſtieg ſie am fol- genden Morgen uͤber die Gebirge empor, und ver- kuͤndigte mit freundlichem Blicke der erwachenden Erde, daß mir ihr der junge, blumenreiche Mai nahe. Ihre Strahlen weckten mich, ich erſtieg froh und munter die hohen Gebirge, welche von allen Seiten die boͤhmiſche Bergſtadt Ellbogen um- faſſen, in ihrem engen Schooße zwar vaͤterlich fuͤr Sturm und Wetter ſchuͤtzen, aber auch nur karg und ſparſam auf ihrem magern Ruͤcken ernaͤhren. Schon lange hatte ich nicht frei geathmet; der mehr als launigte, oft heimtuͤckiſche April hatte mich zwar oft mit lachendem Blicke zum Spa- ziergange geladen, aber auch ſelten ungeneckt wieder heim ziehen laſſen. Immer jagte mich ſein kalter Freund, der boͤſe Nordwind, vom Berge herab, oft uͤberraſchte er mich mit einem ſchnellen Regenſchauer, wenn ich, im Thale gelagert, mich
Erſt. Baͤndch. A
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[[1]/0015]
Katharine P***rin.
Heiter gieng am Abende des letzten Aprils die
Sonne unter, rein und glaͤnzend ſtieg ſie am fol-
genden Morgen uͤber die Gebirge empor, und ver-
kuͤndigte mit freundlichem Blicke der erwachenden
Erde, daß mir ihr der junge, blumenreiche Mai
nahe. Ihre Strahlen weckten mich, ich erſtieg
froh und munter die hohen Gebirge, welche von
allen Seiten die boͤhmiſche Bergſtadt Ellbogen um-
faſſen, in ihrem engen Schooße zwar vaͤterlich fuͤr
Sturm und Wetter ſchuͤtzen, aber auch nur karg
und ſparſam auf ihrem magern Ruͤcken ernaͤhren.
Schon lange hatte ich nicht frei geathmet; der
mehr als launigte, oft heimtuͤckiſche April hatte
mich zwar oft mit lachendem Blicke zum Spa-
ziergange geladen, aber auch ſelten ungeneckt
wieder heim ziehen laſſen. Immer jagte mich ſein
kalter Freund, der boͤſe Nordwind, vom Berge
herab, oft uͤberraſchte er mich mit einem ſchnellen
Regenſchauer, wenn ich, im Thale gelagert, mich
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/15>, abgerufen am 16.02.2025.
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