len? Wer hätte denken können, daß es je mög- lich seyn würde? Und doch geschah's! Auf Vet- ter Michels Hochzeit, da wurde meine Brust zur Laterne! -- -- Ich habe freilich in meinem Le- ben oft und schwer gesündigt, aber, lieber Gott im Himmel! (weinend) diese Strafe habe ich doch nicht verdient. Es ist schrecklich, überlege es nur selbst, es ist schrecklich, wenn jeder Mensch mir nun ins Herz sehen, und meine geheim- sten Gedanken sogleich auf der Stelle entdecken kann.
Marie. Lieber Jakob, was fällt dir denn ein? Du irrst dich ganz -- --
Jakob. (heftig) Ich mich irren, da ich dich und mich jeden Augenblick überzeugen kann? (reißt seine Weste auf, und zeigt ihr die bloße Brust) Siehst du? Ist hier und hier nicht alles von Glas, so durchsichtig, als ob's Kristall wäre? Siehst du mein Herz, und alle meine Gedanken darinne? Zweifelst du jetzt noch?
Marie. Ich sehe nichts, ich schwöre dir's bei Gott und seiner heiligen Mutter, daß deine Brust keinem Glase ähnlich sieht, daß -- --
Jakob. (zornig) Falsche, Ungetreue! Ich sehe es schon, auch du hast dich mit meinen Feinden verschworen, willst mich hintergehen, und unter die Leute locken, damit alle, was ich denke, sehen und lesen können. Aber du betrügst dich,
len? Wer haͤtte denken koͤnnen, daß es je moͤg- lich ſeyn wuͤrde? Und doch geſchah's! Auf Vet- ter Michels Hochzeit, da wurde meine Bruſt zur Laterne! — — Ich habe freilich in meinem Le- ben oft und ſchwer geſuͤndigt, aber, lieber Gott im Himmel! (weinend) dieſe Strafe habe ich doch nicht verdient. Es iſt ſchrecklich, uͤberlege es nur ſelbſt, es iſt ſchrecklich, wenn jeder Menſch mir nun ins Herz ſehen, und meine geheim- ſten Gedanken ſogleich auf der Stelle entdecken kann.
Marie. Lieber Jakob, was faͤllt dir denn ein? Du irrſt dich ganz — —
Jakob. (heftig) Ich mich irren, da ich dich und mich jeden Augenblick uͤberzeugen kann? (reißt ſeine Weſte auf, und zeigt ihr die bloße Bruſt) Siehſt du? Iſt hier und hier nicht alles von Glas, ſo durchſichtig, als ob's Kriſtall waͤre? Siehſt du mein Herz, und alle meine Gedanken darinne? Zweifelſt du jetzt noch?
Marie. Ich ſehe nichts, ich ſchwoͤre dir's bei Gott und ſeiner heiligen Mutter, daß deine Bruſt keinem Glaſe aͤhnlich ſieht, daß — —
Jakob. (zornig) Falſche, Ungetreue! Ich ſehe es ſchon, auch du haſt dich mit meinen Feinden verſchworen, willſt mich hintergehen, und unter die Leute locken, damit alle, was ich denke, ſehen und leſen koͤnnen. Aber du betruͤgſt dich,
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len? Wer haͤtte denken koͤnnen, daß es je moͤg-
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ter Michels Hochzeit, da wurde meine Bruſt zur
Laterne! — — Ich habe freilich in meinem Le-
ben oft und ſchwer geſuͤndigt, aber, lieber Gott
im Himmel! (weinend) dieſe Strafe habe ich
doch nicht verdient. Es iſt ſchrecklich, uͤberlege es
nur ſelbſt, es iſt ſchrecklich, wenn jeder Menſch
mir nun ins Herz ſehen, und meine geheim-
ſten Gedanken ſogleich auf der Stelle entdecken
kann.
Marie. Lieber Jakob, was faͤllt dir denn
ein? Du irrſt dich ganz — —
Jakob. (heftig) Ich mich irren, da
ich dich und mich jeden Augenblick uͤberzeugen
kann? (reißt ſeine Weſte auf, und zeigt
ihr die bloße Bruſt) Siehſt du? Iſt hier
und hier nicht alles von Glas, ſo durchſichtig,
als ob's Kriſtall waͤre? Siehſt du mein Herz,
und alle meine Gedanken darinne? Zweifelſt du
jetzt noch?
Marie. Ich ſehe nichts, ich ſchwoͤre dir's
bei Gott und ſeiner heiligen Mutter, daß deine
Bruſt keinem Glaſe aͤhnlich ſieht, daß — —
Jakob. (zornig) Falſche, Ungetreue!
Ich ſehe es ſchon, auch du haſt dich mit meinen
Feinden verſchworen, willſt mich hintergehen, und
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ſehen und leſen koͤnnen. Aber du betruͤgſt dich,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/125>, abgerufen am 23.07.2024.
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