Löffel warme Suppe ein, die er nur mit vieler Weigerung annahm. Erst am andern Tage konn- ten sie ihn nach seiner Wohnung tragen, und ei- nen Wundarzt zur Hülfe herbeirufen. Er war äußerst schwach, als dieser ankam, wollte aber die Hände nicht von der Brust weggeben; da der Arzt hier eine Wunde muthmaßte, so mußte er Gewalt brauchen, und zwei starke Knechte waren kaum mächtig genug, ihm die Hände wegzuziehen. Man fand nicht die geringste Verwundung, wie man aber die Hände frei ließ, so bedeckte der ar- me Jakob sogleich wieder seine Brust. Da man sicher vermuthete, daß er volle sieben Tage und Nächte im Heu versteckt lag, wahrscheinlich eben so lange hungerte und durstete, so zweifelte der Wundarzt an seinem Aufkommen, und die anwe- senden Freunde sandten nach einem Geistlichen. Wie dieser kam, und mit dem Kranken sprach, auch seine Beichte hören wollte, so gab er frei- willig seine Hände von der Brust weg, redete aber kein Wort, und bedeckte sie wieder sorgfäl- tig, als der Priester schied. Der Wundarzt be- handelte nun nach möglicher Einsicht den Kran- ken, er labte ihn vorsichtig; am achten Tage darauf konnte dieser schon das Bette verlassen, und in der Stube umherschleichen, aber er sprach unter dieser Zeit kein Wort, verkroch sich gerne in ei- nen Winkel, und gab seine Hände nie von der Brust weg. Er aß und trank daher auch nicht in Gegenwart anderer, und wollten seine Freunde,
Loͤffel warme Suppe ein, die er nur mit vieler Weigerung annahm. Erſt am andern Tage konn- ten ſie ihn nach ſeiner Wohnung tragen, und ei- nen Wundarzt zur Huͤlfe herbeirufen. Er war aͤußerſt ſchwach, als dieſer ankam, wollte aber die Haͤnde nicht von der Bruſt weggeben; da der Arzt hier eine Wunde muthmaßte, ſo mußte er Gewalt brauchen, und zwei ſtarke Knechte waren kaum maͤchtig genug, ihm die Haͤnde wegzuziehen. Man fand nicht die geringſte Verwundung, wie man aber die Haͤnde frei ließ, ſo bedeckte der ar- me Jakob ſogleich wieder ſeine Bruſt. Da man ſicher vermuthete, daß er volle ſieben Tage und Naͤchte im Heu verſteckt lag, wahrſcheinlich eben ſo lange hungerte und durſtete, ſo zweifelte der Wundarzt an ſeinem Aufkommen, und die anwe- ſenden Freunde ſandten nach einem Geiſtlichen. Wie dieſer kam, und mit dem Kranken ſprach, auch ſeine Beichte hoͤren wollte, ſo gab er frei- willig ſeine Haͤnde von der Bruſt weg, redete aber kein Wort, und bedeckte ſie wieder ſorgfaͤl- tig, als der Prieſter ſchied. Der Wundarzt be- handelte nun nach moͤglicher Einſicht den Kran- ken, er labte ihn vorſichtig; am achten Tage darauf konnte dieſer ſchon das Bette verlaſſen, und in der Stube umherſchleichen, aber er ſprach unter dieſer Zeit kein Wort, verkroch ſich gerne in ei- nen Winkel, und gab ſeine Haͤnde nie von der Bruſt weg. Er aß und trank daher auch nicht in Gegenwart anderer, und wollten ſeine Freunde,
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Loͤffel warme Suppe ein, die er nur mit vieler
Weigerung annahm. Erſt am andern Tage konn-
ten ſie ihn nach ſeiner Wohnung tragen, und ei-
nen Wundarzt zur Huͤlfe herbeirufen. Er war
aͤußerſt ſchwach, als dieſer ankam, wollte aber
die Haͤnde nicht von der Bruſt weggeben; da der
Arzt hier eine Wunde muthmaßte, ſo mußte er
Gewalt brauchen, und zwei ſtarke Knechte waren
kaum maͤchtig genug, ihm die Haͤnde wegzuziehen.
Man fand nicht die geringſte Verwundung, wie
man aber die Haͤnde frei ließ, ſo bedeckte der ar-
me Jakob ſogleich wieder ſeine Bruſt. Da man
ſicher vermuthete, daß er volle ſieben Tage und
Naͤchte im Heu verſteckt lag, wahrſcheinlich eben
ſo lange hungerte und durſtete, ſo zweifelte der
Wundarzt an ſeinem Aufkommen, und die anwe-
ſenden Freunde ſandten nach einem Geiſtlichen.
Wie dieſer kam, und mit dem Kranken ſprach,
auch ſeine Beichte hoͤren wollte, ſo gab er frei-
willig ſeine Haͤnde von der Bruſt weg, redete
aber kein Wort, und bedeckte ſie wieder ſorgfaͤl-
tig, als der Prieſter ſchied. Der Wundarzt be-
handelte nun nach moͤglicher Einſicht den Kran-
ken, er labte ihn vorſichtig; am achten Tage darauf
konnte dieſer ſchon das Bette verlaſſen, und in
der Stube umherſchleichen, aber er ſprach unter
dieſer Zeit kein Wort, verkroch ſich gerne in ei-
nen Winkel, und gab ſeine Haͤnde nie von der
Bruſt weg. Er aß und trank daher auch nicht in
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/122>, abgerufen am 23.07.2024.
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