nichts, nicht einmal meine Unschuld zur Mitgift bringen kann, selbst dieser Gedanke würde dich einst quälen, wenn die Freunde dich um meinet- willen verfolgten und haßten. Daß diese schönen und wahren Gesinnungen gerade das Gegentheil wirkten, den leidenden Jüngling nur zur stärkern Liebe reizten, darf ich wohl nicht erst anführen, denn es waren Beweise des edlen Herzens seines Mädchens, und überzeugten ihn, daß er mit ihr äuserst glücklich und zufrieden leben würde.
Um zu erfahren, wie seine Freunde seinen fe- sten Entschluß aufnehmen würden, vertraute er seine Absicht und innige Liebe einem guten Freun- de, der bei schicklicher Gelegenheit sie jenen vor- tragen, und ihre Gesinnungen darüber erforschen sollte, dieser versprach ihm Vorsicht und in jedem Falle offne Nachricht. Am andern Tage war eine Hochzeit im nächsten Dorfe, alle seine Verwandten und auch er wurde geladen, so gerne er daheim bei seiner Marie geblieben wäre, mußte er Wohl- stands halber doch auch dabei erscheinen. Wie der Wein aller Herzen erfreute und öffnete, rufte ihn einer nach dem andern an's Fenster und mach- te ihm die bittersten Vorwürfe über seine niedrige, schandvolle Liebe, alle schlossen mit den Worten, daß sie ihn, wenn er die Magd heirathen würde, nie mehr für ihren Bruder, Vetter oder Schwa- ger erkennen, ihn und sie ewig hassen und verfol- gen würden. Jakob war, als er diese Vorwürfe
nichts, nicht einmal meine Unſchuld zur Mitgift bringen kann, ſelbſt dieſer Gedanke wuͤrde dich einſt quaͤlen, wenn die Freunde dich um meinet- willen verfolgten und haßten. Daß dieſe ſchoͤnen und wahren Geſinnungen gerade das Gegentheil wirkten, den leidenden Juͤngling nur zur ſtaͤrkern Liebe reizten, darf ich wohl nicht erſt anfuͤhren, denn es waren Beweiſe des edlen Herzens ſeines Maͤdchens, und uͤberzeugten ihn, daß er mit ihr aͤuſerſt gluͤcklich und zufrieden leben wuͤrde.
Um zu erfahren, wie ſeine Freunde ſeinen fe- ſten Entſchluß aufnehmen wuͤrden, vertraute er ſeine Abſicht und innige Liebe einem guten Freun- de, der bei ſchicklicher Gelegenheit ſie jenen vor- tragen, und ihre Geſinnungen daruͤber erforſchen ſollte, dieſer verſprach ihm Vorſicht und in jedem Falle offne Nachricht. Am andern Tage war eine Hochzeit im naͤchſten Dorfe, alle ſeine Verwandten und auch er wurde geladen, ſo gerne er daheim bei ſeiner Marie geblieben waͤre, mußte er Wohl- ſtands halber doch auch dabei erſcheinen. Wie der Wein aller Herzen erfreute und oͤffnete, rufte ihn einer nach dem andern an's Fenſter und mach- te ihm die bitterſten Vorwuͤrfe uͤber ſeine niedrige, ſchandvolle Liebe, alle ſchloſſen mit den Worten, daß ſie ihn, wenn er die Magd heirathen wuͤrde, nie mehr fuͤr ihren Bruder, Vetter oder Schwa- ger erkennen, ihn und ſie ewig haſſen und verfol- gen wuͤrden. Jakob war, als er dieſe Vorwuͤrfe
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nichts, nicht einmal meine Unſchuld zur Mitgift
bringen kann, ſelbſt dieſer Gedanke wuͤrde dich
einſt quaͤlen, wenn die Freunde dich um meinet-
willen verfolgten und haßten. Daß dieſe ſchoͤnen
und wahren Geſinnungen gerade das Gegentheil
wirkten, den leidenden Juͤngling nur zur ſtaͤrkern
Liebe reizten, darf ich wohl nicht erſt anfuͤhren,
denn es waren Beweiſe des edlen Herzens ſeines
Maͤdchens, und uͤberzeugten ihn, daß er mit ihr
aͤuſerſt gluͤcklich und zufrieden leben wuͤrde.
Um zu erfahren, wie ſeine Freunde ſeinen fe-
ſten Entſchluß aufnehmen wuͤrden, vertraute er
ſeine Abſicht und innige Liebe einem guten Freun-
de, der bei ſchicklicher Gelegenheit ſie jenen vor-
tragen, und ihre Geſinnungen daruͤber erforſchen
ſollte, dieſer verſprach ihm Vorſicht und in jedem
Falle offne Nachricht. Am andern Tage war eine
Hochzeit im naͤchſten Dorfe, alle ſeine Verwandten
und auch er wurde geladen, ſo gerne er daheim
bei ſeiner Marie geblieben waͤre, mußte er Wohl-
ſtands halber doch auch dabei erſcheinen. Wie
der Wein aller Herzen erfreute und oͤffnete, rufte
ihn einer nach dem andern an's Fenſter und mach-
te ihm die bitterſten Vorwuͤrfe uͤber ſeine niedrige,
ſchandvolle Liebe, alle ſchloſſen mit den Worten,
daß ſie ihn, wenn er die Magd heirathen wuͤrde,
nie mehr fuͤr ihren Bruder, Vetter oder Schwa-
ger erkennen, ihn und ſie ewig haſſen und verfol-
gen wuͤrden. Jakob war, als er dieſe Vorwuͤrfe
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/119>, abgerufen am 23.07.2024.
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