Diensten des Monarchen standen; er war über- zeugt, daß er diese alle kränken und beleidigen würde, wenn er eine arme gefallne Magd zu sei- nem Weibe wählte, da er doch ohne Scheu unter den reichsten und schönsten Töchtern des Thals wählen konnte. Diese Betrachtungen, die oft ta- gelang seinen Verstand beschäftigten, waren die Ursache seiner Trauer, seines Tiefsinns, er sah die Wichtigkeit derselben ein, aber er konnte auch eben so wenig dem immer stärkern Eindrucke wi- derstehen, den Mariens Schönheit und ihre guten Eigenschaften auf sein Herz machten. Er kämpf- te einige Monate vergebens, wie aber seine Lei- denschaft sich immer mehrte, ihm in die Zukunft nur martervolle Tage und gräßliches Leiden ver- kündigte, so sprach er offen mit der schönen Ma- rie, gestand ihr seine Liebe, und fand sie willig, diese im vollen Maaße zu erwiedern, wenn an- ders seine Geschwister und Anverwandten sie billi- gen würden. Doch da ich, setzte sie traurig und standhaft hinzu, von der Weigerung aller im Voraus überzeugt bin, da ich gewiß weis, daß sie mit größtem Widerwillen eine arme gefallne Magd in der Mitte ihrer Familie sehen würden, so bitte und beschwöre ich dich, dein Vorhaben aufzugeben, und der Liebe zu einer Unglücklichen zu entsagen. Ich will mir einen andern Dienst suchen, Abwesenheit wird leicht den Eindruck lö- schen, welchen meine geringen Eigenschaften auf dein Herz machten. Bedenke, daß ich dir gar
Dienſten des Monarchen ſtanden; er war uͤber- zeugt, daß er dieſe alle kraͤnken und beleidigen wuͤrde, wenn er eine arme gefallne Magd zu ſei- nem Weibe waͤhlte, da er doch ohne Scheu unter den reichſten und ſchoͤnſten Toͤchtern des Thals waͤhlen konnte. Dieſe Betrachtungen, die oft ta- gelang ſeinen Verſtand beſchaͤftigten, waren die Urſache ſeiner Trauer, ſeines Tiefſinns, er ſah die Wichtigkeit derſelben ein, aber er konnte auch eben ſo wenig dem immer ſtaͤrkern Eindrucke wi- derſtehen, den Mariens Schoͤnheit und ihre guten Eigenſchaften auf ſein Herz machten. Er kaͤmpf- te einige Monate vergebens, wie aber ſeine Lei- denſchaft ſich immer mehrte, ihm in die Zukunft nur martervolle Tage und graͤßliches Leiden ver- kuͤndigte, ſo ſprach er offen mit der ſchoͤnen Ma- rie, geſtand ihr ſeine Liebe, und fand ſie willig, dieſe im vollen Maaße zu erwiedern, wenn an- ders ſeine Geſchwiſter und Anverwandten ſie billi- gen wuͤrden. Doch da ich, ſetzte ſie traurig und ſtandhaft hinzu, von der Weigerung aller im Voraus uͤberzeugt bin, da ich gewiß weis, daß ſie mit groͤßtem Widerwillen eine arme gefallne Magd in der Mitte ihrer Familie ſehen wuͤrden, ſo bitte und beſchwoͤre ich dich, dein Vorhaben aufzugeben, und der Liebe zu einer Ungluͤcklichen zu entſagen. Ich will mir einen andern Dienſt ſuchen, Abweſenheit wird leicht den Eindruck loͤ- ſchen, welchen meine geringen Eigenſchaften auf dein Herz machten. Bedenke, daß ich dir gar
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0118"n="104"/>
Dienſten des Monarchen ſtanden; er war uͤber-<lb/>
zeugt, daß er dieſe alle kraͤnken und beleidigen<lb/>
wuͤrde, wenn er eine arme gefallne Magd zu ſei-<lb/>
nem Weibe waͤhlte, da er doch ohne Scheu unter<lb/>
den reichſten und ſchoͤnſten Toͤchtern des Thals<lb/>
waͤhlen konnte. Dieſe Betrachtungen, die oft ta-<lb/>
gelang ſeinen Verſtand beſchaͤftigten, waren die<lb/>
Urſache ſeiner Trauer, ſeines Tiefſinns, er ſah<lb/>
die Wichtigkeit derſelben ein, aber er konnte auch<lb/>
eben ſo wenig dem immer ſtaͤrkern Eindrucke wi-<lb/>
derſtehen, den Mariens Schoͤnheit und ihre guten<lb/>
Eigenſchaften auf ſein Herz machten. Er kaͤmpf-<lb/>
te einige Monate vergebens, wie aber ſeine Lei-<lb/>
denſchaft ſich immer mehrte, ihm in die Zukunft<lb/>
nur martervolle Tage und graͤßliches Leiden ver-<lb/>
kuͤndigte, ſo ſprach er offen mit der ſchoͤnen Ma-<lb/>
rie, geſtand ihr ſeine Liebe, und fand ſie willig,<lb/>
dieſe im vollen Maaße zu erwiedern, wenn an-<lb/>
ders ſeine Geſchwiſter und Anverwandten ſie billi-<lb/>
gen wuͤrden. Doch da ich, ſetzte ſie traurig und<lb/>ſtandhaft hinzu, von der Weigerung aller im<lb/>
Voraus uͤberzeugt bin, da ich gewiß weis, daß<lb/>ſie mit groͤßtem Widerwillen eine arme gefallne<lb/>
Magd in der Mitte ihrer Familie ſehen wuͤrden,<lb/>ſo bitte und beſchwoͤre ich dich, dein Vorhaben<lb/>
aufzugeben, und der Liebe zu einer Ungluͤcklichen<lb/>
zu entſagen. Ich will mir einen andern Dienſt<lb/>ſuchen, Abweſenheit wird leicht den Eindruck loͤ-<lb/>ſchen, welchen meine geringen Eigenſchaften auf<lb/>
dein Herz machten. Bedenke, daß ich dir gar<lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0118]
Dienſten des Monarchen ſtanden; er war uͤber-
zeugt, daß er dieſe alle kraͤnken und beleidigen
wuͤrde, wenn er eine arme gefallne Magd zu ſei-
nem Weibe waͤhlte, da er doch ohne Scheu unter
den reichſten und ſchoͤnſten Toͤchtern des Thals
waͤhlen konnte. Dieſe Betrachtungen, die oft ta-
gelang ſeinen Verſtand beſchaͤftigten, waren die
Urſache ſeiner Trauer, ſeines Tiefſinns, er ſah
die Wichtigkeit derſelben ein, aber er konnte auch
eben ſo wenig dem immer ſtaͤrkern Eindrucke wi-
derſtehen, den Mariens Schoͤnheit und ihre guten
Eigenſchaften auf ſein Herz machten. Er kaͤmpf-
te einige Monate vergebens, wie aber ſeine Lei-
denſchaft ſich immer mehrte, ihm in die Zukunft
nur martervolle Tage und graͤßliches Leiden ver-
kuͤndigte, ſo ſprach er offen mit der ſchoͤnen Ma-
rie, geſtand ihr ſeine Liebe, und fand ſie willig,
dieſe im vollen Maaße zu erwiedern, wenn an-
ders ſeine Geſchwiſter und Anverwandten ſie billi-
gen wuͤrden. Doch da ich, ſetzte ſie traurig und
ſtandhaft hinzu, von der Weigerung aller im
Voraus uͤberzeugt bin, da ich gewiß weis, daß
ſie mit groͤßtem Widerwillen eine arme gefallne
Magd in der Mitte ihrer Familie ſehen wuͤrden,
ſo bitte und beſchwoͤre ich dich, dein Vorhaben
aufzugeben, und der Liebe zu einer Ungluͤcklichen
zu entſagen. Ich will mir einen andern Dienſt
ſuchen, Abweſenheit wird leicht den Eindruck loͤ-
ſchen, welchen meine geringen Eigenſchaften auf
dein Herz machten. Bedenke, daß ich dir gar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/118>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.