Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Jahres war Wilhelm einige Tage krank, und lag Im Frühjahre, als der Schnee schmolz, und Jahres war Wilhelm einige Tage krank, und lag Im Fruͤhjahre, als der Schnee ſchmolz, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="98"/> Jahres war Wilhelm einige Tage krank, und lag<lb/> ſprachlos auf ſeinem Lager; wie es ſich wieder<lb/> mit ihm beſſerte, und der Pfarrer ihn am folgen-<lb/> den Sonntag mit in die Kirche nahm, wollte er<lb/> nicht uͤber die Bruͤcke gehen, welche uͤber den Bach<lb/> fuͤhrte. Er behauptete kuͤhn, daß er von Gott<lb/> wegen Lottchens Verfuͤhrung in die Hoͤlle verur-<lb/> theilt ſei, und nicht den Bach uͤberſchreiten duͤrfe,<lb/> der die Graͤnze zwiſchen dieſer und dem Himmel<lb/> bezeichne. Alle Beweisgruͤnde waren fruchtlos,<lb/> und der Pfarrer ſah klar ein, daß Wilhelms Ver-<lb/> ſtand nun auch verlohren ſei. Er aͤuſſerte uͤbri-<lb/> gens nur in dieſem einzigen Punkte Wahnſinn,<lb/> in allen andern Vorfaͤllen handelte er ſtets klug<lb/> und vernuͤnftig, doch ſprach er, wie vorher, ſehr<lb/> wenig, wollte nie zu Hauſe weilen, und gieng<lb/> immer im Freien umher. Nie uͤberſchritt er aber<lb/> den Bach, welcher ihn von Lottchen trennte, er<lb/> harrte ihrer dort taͤglich, und ſie kam allemal zu<lb/> ihm herab. Wenn der arme Wilhelm nachher auf<lb/> ſeinen Wanderungen einen Dornſtrauch fand, ſo<lb/> hob er ihn ſtets auf, und trug ihn tagelang auf<lb/> ſeinem Ruͤcken. So lange ich, ſprach er dann zu<lb/> denjenigen, welche nach der Urſache fragten, die-<lb/> ſen Dorn auf meinem Ruͤcken trage, kann ſich<lb/> ihn niemand in den Fuß treten, und Wunden,<lb/> ſetzte er ſeufzend hinzu, thun weh, ſehr weh!</p><lb/> <p>Im Fruͤhjahre, als der Schnee ſchmolz, und<lb/> der Bach reißend und ſchnell durch das Dorf<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0112]
Jahres war Wilhelm einige Tage krank, und lag
ſprachlos auf ſeinem Lager; wie es ſich wieder
mit ihm beſſerte, und der Pfarrer ihn am folgen-
den Sonntag mit in die Kirche nahm, wollte er
nicht uͤber die Bruͤcke gehen, welche uͤber den Bach
fuͤhrte. Er behauptete kuͤhn, daß er von Gott
wegen Lottchens Verfuͤhrung in die Hoͤlle verur-
theilt ſei, und nicht den Bach uͤberſchreiten duͤrfe,
der die Graͤnze zwiſchen dieſer und dem Himmel
bezeichne. Alle Beweisgruͤnde waren fruchtlos,
und der Pfarrer ſah klar ein, daß Wilhelms Ver-
ſtand nun auch verlohren ſei. Er aͤuſſerte uͤbri-
gens nur in dieſem einzigen Punkte Wahnſinn,
in allen andern Vorfaͤllen handelte er ſtets klug
und vernuͤnftig, doch ſprach er, wie vorher, ſehr
wenig, wollte nie zu Hauſe weilen, und gieng
immer im Freien umher. Nie uͤberſchritt er aber
den Bach, welcher ihn von Lottchen trennte, er
harrte ihrer dort taͤglich, und ſie kam allemal zu
ihm herab. Wenn der arme Wilhelm nachher auf
ſeinen Wanderungen einen Dornſtrauch fand, ſo
hob er ihn ſtets auf, und trug ihn tagelang auf
ſeinem Ruͤcken. So lange ich, ſprach er dann zu
denjenigen, welche nach der Urſache fragten, die-
ſen Dorn auf meinem Ruͤcken trage, kann ſich
ihn niemand in den Fuß treten, und Wunden,
ſetzte er ſeufzend hinzu, thun weh, ſehr weh!
Im Fruͤhjahre, als der Schnee ſchmolz, und
der Bach reißend und ſchnell durch das Dorf
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