noch erbärmlich schrie, so suchten sie alle Gegen- wärtige zu beruhigen, aber sie schwieg nicht eher stille, als bis Wilhelm sich entfernte. Einige Bewohner des Dorfs führten ihn, er weinte schrecklich, und rang seine Hände fürchterlich, Lottchen blickte mitleidig zum Fenster herab. War- um weint er denn? fragte sie endlich.
Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht sehen, nicht sprechen wollen.
Lottchen. (ängstlich) Wie kann ich denn? Wenn er mir zu nahe kommt, so trägt er mich aus dem Himmel wieder in die Welt hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden! O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da- hin gehe ich nicht.
Wilhelm. (schluchzend) Unvergeßliche! Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel, so schrecklich er mir auch ist, nicht rauben! Ich will dich nur sehen, nur mein Kind segnen.
Lottchen. (hebt Wilhelminen am Fenster in die Höhe) Siehst du es nun? Ist's nicht ein schöner Engel? O, es hat mir gräßliche Schmerzen gekostet, aber nun ist's auch meine einzige Freude.
Wilhelm. (ausser sich) Erbarme dich! Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich dir nähern, daß ich mein Kind küssen darf.
Lottchen. (ängstlich) Nein! Nein!
noch erbaͤrmlich ſchrie, ſo ſuchten ſie alle Gegen- waͤrtige zu beruhigen, aber ſie ſchwieg nicht eher ſtille, als bis Wilhelm ſich entfernte. Einige Bewohner des Dorfs fuͤhrten ihn, er weinte ſchrecklich, und rang ſeine Haͤnde fuͤrchterlich, Lottchen blickte mitleidig zum Fenſter herab. War- um weint er denn? fragte ſie endlich.
Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht ſehen, nicht ſprechen wollen.
Lottchen. (aͤngſtlich) Wie kann ich denn? Wenn er mir zu nahe kommt, ſo traͤgt er mich aus dem Himmel wieder in die Welt hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden! O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da- hin gehe ich nicht.
Wilhelm. (ſchluchzend) Unvergeßliche! Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel, ſo ſchrecklich er mir auch iſt, nicht rauben! Ich will dich nur ſehen, nur mein Kind ſegnen.
Lottchen. (hebt Wilhelminen am Fenſter in die Hoͤhe) Siehſt du es nun? Iſt's nicht ein ſchoͤner Engel? O, es hat mir graͤßliche Schmerzen gekoſtet, aber nun iſt's auch meine einzige Freude.
Wilhelm. (auſſer ſich) Erbarme dich! Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich dir naͤhern, daß ich mein Kind kuͤſſen darf.
Lottchen. (aͤngſtlich) Nein! Nein!
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0106"n="92"/>
noch erbaͤrmlich ſchrie, ſo ſuchten ſie alle Gegen-<lb/>
waͤrtige zu beruhigen, aber ſie ſchwieg nicht eher<lb/>ſtille, als bis Wilhelm ſich entfernte. Einige<lb/>
Bewohner des Dorfs fuͤhrten ihn, er weinte<lb/>ſchrecklich, und rang ſeine Haͤnde fuͤrchterlich,<lb/>
Lottchen blickte mitleidig zum Fenſter herab. War-<lb/>
um weint er denn? fragte ſie endlich.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">Pfarrer</hi>. Weil Sie ihn nicht ſehen,<lb/>
nicht ſprechen wollen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lottchen. (aͤngſtlich)</hi> Wie kann ich<lb/>
denn? Wenn er mir zu nahe kommt, ſo traͤgt<lb/>
er mich aus dem Himmel wieder in die Welt<lb/>
hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden!<lb/>
O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da-<lb/>
hin gehe ich nicht.</p><lb/><p><hirendition="#g">Wilhelm. (ſchluchzend)</hi> Unvergeßliche!<lb/>
Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel,<lb/>ſo ſchrecklich er mir auch iſt, nicht rauben! Ich<lb/>
will dich nur ſehen, nur mein Kind ſegnen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lottchen. (hebt Wilhelminen am<lb/>
Fenſter in die Hoͤhe)</hi> Siehſt du es nun?<lb/>
Iſt's nicht ein ſchoͤner Engel? O, es hat mir<lb/>
graͤßliche Schmerzen gekoſtet, aber nun iſt's<lb/>
auch meine einzige Freude.</p><lb/><p><hirendition="#g">Wilhelm. (auſſer ſich)</hi> Erbarme dich!<lb/>
Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich<lb/>
dir naͤhern, daß ich mein Kind kuͤſſen darf.</p><lb/><p><hirendition="#g">Lottchen. (aͤngſtlich)</hi> Nein! Nein!<lb/></p></div></body></text></TEI>
[92/0106]
noch erbaͤrmlich ſchrie, ſo ſuchten ſie alle Gegen-
waͤrtige zu beruhigen, aber ſie ſchwieg nicht eher
ſtille, als bis Wilhelm ſich entfernte. Einige
Bewohner des Dorfs fuͤhrten ihn, er weinte
ſchrecklich, und rang ſeine Haͤnde fuͤrchterlich,
Lottchen blickte mitleidig zum Fenſter herab. War-
um weint er denn? fragte ſie endlich.
Der Pfarrer. Weil Sie ihn nicht ſehen,
nicht ſprechen wollen.
Lottchen. (aͤngſtlich) Wie kann ich
denn? Wenn er mir zu nahe kommt, ſo traͤgt
er mich aus dem Himmel wieder in die Welt
hinab, und da muß ich wieder auf's neue leiden!
O dahin mag ich nicht mehr! Nein! Nein! da-
hin gehe ich nicht.
Wilhelm. (ſchluchzend) Unvergeßliche!
Mir ewig Theure! Ich will dir deinen Himmel,
ſo ſchrecklich er mir auch iſt, nicht rauben! Ich
will dich nur ſehen, nur mein Kind ſegnen.
Lottchen. (hebt Wilhelminen am
Fenſter in die Hoͤhe) Siehſt du es nun?
Iſt's nicht ein ſchoͤner Engel? O, es hat mir
graͤßliche Schmerzen gekoſtet, aber nun iſt's
auch meine einzige Freude.
Wilhelm. (auſſer ſich) Erbarme dich!
Erbarme dich meiner! Erlaube, daß ich mich
dir naͤhern, daß ich mein Kind kuͤſſen darf.
Lottchen. (aͤngſtlich) Nein! Nein!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/106>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.