Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.brauchte Muth und Stärke, um ihn vom Gegen- brauchte Muth und Staͤrke, um ihn vom Gegen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0105" n="91"/> brauchte Muth und Staͤrke, um ihn vom Gegen-<lb/> theile zu uͤberzeugen, und nach und nach zur Er-<lb/> zaͤhlung von Lottchens ungluͤcklichem Schickſale<lb/> vorzubereiten. Wilhelm jammerte ſchrecklich, als<lb/> ihm die Erzaͤhlung ihrer Leiden ward, er beſtand<lb/> hartnaͤckig darauf, daß ihn der Pfarrer nach der<lb/> Schule fuͤhren ſollte. Er hofte, wenigſtens mit<lb/> ihr ſprechen zu koͤnnen, und wollte nur ſein Kind<lb/> ſehen, und ſegnen. Als der Pfarrer endlich ſeiner<lb/> dringenden Bitte nachgab, und mit ihm nach der<lb/> Schule gieng, ſahen ſie Lottchen am obern Fen-<lb/> ſter ſtehen, und aͤngſtlich umherblicken. Der<lb/> Pfarrer bewog Wilhelmen zum Stillſtande, ihr<lb/> ſuchender Blick fand ſie bald, ſie ſtarrte den hof-<lb/> fenden Wilhelm an; endlich laͤchelte ſie freund-<lb/> lich und winkte ihn naͤher, wie er aber unaufhalt-<lb/> ſam nach der Thuͤre rannte, da ſchrie ſie auf's<lb/> neue erbaͤrmlich um Huͤlfe. Ihre Thuͤre war feſt<lb/> verriegelt, Wilhelm konnte ſie nicht oͤffnen, ihr<lb/> anhaltendes Jammergeſchrei bewog ihn endlich<lb/> ſelbſt abzulaſſen, weil der Pfarrer ihm nebenbei<lb/> dringend vorſtellte, daß weitere Gewalt ſie zur<lb/> Raſerei verleiten koͤnne. Ihr klaͤgliches Geſchrei<lb/> nach Huͤlfe hatte viele Bewohner des Dorfs her-<lb/> beigelockt, ſie fanden den ungluͤcklichen Wilhelm<lb/> und bewillkommten ihn mit naſſen Augen. Waͤ-<lb/> ren ſie fruͤher gekommen, ſagte ein altes Muͤtter-<lb/> chen, dann haͤtte ich noch einmal auf ihrer Hoch-<lb/> zeit getanzt, aber jetzt werden wir wohl nur mit-<lb/> einander weinen koͤnnen. Da Lottchen immer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0105]
brauchte Muth und Staͤrke, um ihn vom Gegen-
theile zu uͤberzeugen, und nach und nach zur Er-
zaͤhlung von Lottchens ungluͤcklichem Schickſale
vorzubereiten. Wilhelm jammerte ſchrecklich, als
ihm die Erzaͤhlung ihrer Leiden ward, er beſtand
hartnaͤckig darauf, daß ihn der Pfarrer nach der
Schule fuͤhren ſollte. Er hofte, wenigſtens mit
ihr ſprechen zu koͤnnen, und wollte nur ſein Kind
ſehen, und ſegnen. Als der Pfarrer endlich ſeiner
dringenden Bitte nachgab, und mit ihm nach der
Schule gieng, ſahen ſie Lottchen am obern Fen-
ſter ſtehen, und aͤngſtlich umherblicken. Der
Pfarrer bewog Wilhelmen zum Stillſtande, ihr
ſuchender Blick fand ſie bald, ſie ſtarrte den hof-
fenden Wilhelm an; endlich laͤchelte ſie freund-
lich und winkte ihn naͤher, wie er aber unaufhalt-
ſam nach der Thuͤre rannte, da ſchrie ſie auf's
neue erbaͤrmlich um Huͤlfe. Ihre Thuͤre war feſt
verriegelt, Wilhelm konnte ſie nicht oͤffnen, ihr
anhaltendes Jammergeſchrei bewog ihn endlich
ſelbſt abzulaſſen, weil der Pfarrer ihm nebenbei
dringend vorſtellte, daß weitere Gewalt ſie zur
Raſerei verleiten koͤnne. Ihr klaͤgliches Geſchrei
nach Huͤlfe hatte viele Bewohner des Dorfs her-
beigelockt, ſie fanden den ungluͤcklichen Wilhelm
und bewillkommten ihn mit naſſen Augen. Waͤ-
ren ſie fruͤher gekommen, ſagte ein altes Muͤtter-
chen, dann haͤtte ich noch einmal auf ihrer Hoch-
zeit getanzt, aber jetzt werden wir wohl nur mit-
einander weinen koͤnnen. Da Lottchen immer
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