entsetzlicher Angst, da trat sie noch näher -- bog sich sogar herüber -- und da wurde mir es schwarz vor den Augen -- nun und das Uebrige weißt Du ja. Aber ich höre Malte kommen. Gute Nacht, Oswald."
"Gute Nacht, Du Wilder!"
Oswald küßte seinen Liebling auf die Stirn und ging nachdenklich auf sein Zimmer. Er lehnte sich in das offene Fenster und schaute lange, in Sinnen und Brüten verloren, in den Garten hinab. Die Nacht war finster; nur hier und da schimmerte ein Stern auf Augenblicke durch den Wolkendunst. Manch¬ mal rauschten die Bäume lauter auf, als sprächen sie ängstlich in einem wirren, unruhigen Schlaf; der Brun¬ nen der Najade plätscherte dazwischen, leise und ab¬ gebrochen, als erzähle er eine alte unheimliche Ge¬ schichte.
"Dein Leben gleicht dieser Nacht," sprach Oswald bei sich: "hier und da ein Stern, der so bald wieder verschwunden ist, und sonst Alles chaotisches Dunkel. Du hast recht, guter Berger: unser Leben ist ein hohles Nichts, und wer nur überhaupt einen Ver¬ stand zu verlieren hat, muß ihn darüber verlieren. Wolltest Du bewirken, daß Dir Dein Schüler sobald als möglich nachfolgen könnte, als Du mich hierher schicktest? Da bist Du nun an demselben Orte, wo
entſetzlicher Angſt, da trat ſie noch näher — bog ſich ſogar herüber — und da wurde mir es ſchwarz vor den Augen — nun und das Uebrige weißt Du ja. Aber ich höre Malte kommen. Gute Nacht, Oswald.“
„Gute Nacht, Du Wilder!“
Oswald küßte ſeinen Liebling auf die Stirn und ging nachdenklich auf ſein Zimmer. Er lehnte ſich in das offene Fenſter und ſchaute lange, in Sinnen und Brüten verloren, in den Garten hinab. Die Nacht war finſter; nur hier und da ſchimmerte ein Stern auf Augenblicke durch den Wolkendunſt. Manch¬ mal rauſchten die Bäume lauter auf, als ſprächen ſie ängſtlich in einem wirren, unruhigen Schlaf; der Brun¬ nen der Najade plätſcherte dazwiſchen, leiſe und ab¬ gebrochen, als erzähle er eine alte unheimliche Ge¬ ſchichte.
„Dein Leben gleicht dieſer Nacht,“ ſprach Oswald bei ſich: „hier und da ein Stern, der ſo bald wieder verſchwunden iſt, und ſonſt Alles chaotiſches Dunkel. Du haſt recht, guter Berger: unſer Leben iſt ein hohles Nichts, und wer nur überhaupt einen Ver¬ ſtand zu verlieren hat, muß ihn darüber verlieren. Wollteſt Du bewirken, daß Dir Dein Schüler ſobald als möglich nachfolgen könnte, als Du mich hierher ſchickteſt? Da biſt Du nun an demſelben Orte, wo
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entſetzlicher Angſt, da trat ſie noch näher — bog ſich
ſogar herüber — und da wurde mir es ſchwarz vor
den Augen — nun und das Uebrige weißt Du ja.
Aber ich höre Malte kommen. Gute Nacht, Oswald.“
„Gute Nacht, Du Wilder!“
Oswald küßte ſeinen Liebling auf die Stirn und
ging nachdenklich auf ſein Zimmer. Er lehnte ſich
in das offene Fenſter und ſchaute lange, in Sinnen
und Brüten verloren, in den Garten hinab. Die
Nacht war finſter; nur hier und da ſchimmerte ein
Stern auf Augenblicke durch den Wolkendunſt. Manch¬
mal rauſchten die Bäume lauter auf, als ſprächen ſie
ängſtlich in einem wirren, unruhigen Schlaf; der Brun¬
nen der Najade plätſcherte dazwiſchen, leiſe und ab¬
gebrochen, als erzähle er eine alte unheimliche Ge¬
ſchichte.
„Dein Leben gleicht dieſer Nacht,“ ſprach Oswald
bei ſich: „hier und da ein Stern, der ſo bald wieder
verſchwunden iſt, und ſonſt Alles chaotiſches Dunkel.
Du haſt recht, guter Berger: unſer Leben iſt ein
hohles Nichts, und wer nur überhaupt einen Ver¬
ſtand zu verlieren hat, muß ihn darüber verlieren.
Wollteſt Du bewirken, daß Dir Dein Schüler ſobald
als möglich nachfolgen könnte, als Du mich hierher
ſchickteſt? Da biſt Du nun an demſelben Orte, wo
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/44>, abgerufen am 16.07.2024.
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