Sonne war soeben in das Meer gesunken und schien die in allen Schattirungen von Roth und Gold pran¬ genden Wolken wie in einem Strudel hinter sich her¬ zuziehen. Von dem Punkte, wo sie untergegangen war, schossen lichte Streifen durch die Wolken nach allen Seiten bis hoch hinauf in den durchsichtig blauen Himmel. Die See war nach dem Horinzonte hin ein Feuermeer, und auf einzelnen höheren Wellen zitterten die goldenen Funken bis zum Strand herüber. Das hohe vielfach zerklüftete Kreideufer und der Buchwald, der es krönte, waren von dem rothen Abendschein, wie von einer bengalischen Flamme angestrahlt. Rings umher tiefe feierliche Stille, nur unterbrochen von dem dumpfen Rauschen der Wogen unten auf den Kieseln des Strandes, und dann und wann von dem grellen Schrei einer Möve, die über den erregten Wassern flatterte.
Die Gesellschaft stand, in Betrachtung des herrlichen Schauspiels, das mit jedem Augenblicke wechselte, verloren, gruppenweis da. Oswald, dem die ewigen Ach's und Oh's, an denen sich besonders die Baronin und Felix überboten, nachgerade langweilig wurden, hatte sich etwas von den Uebrigen entfernt und sich auf die bloß liegende Wurzel einer mächtigen Buche gesetzt.
Sonne war ſoeben in das Meer geſunken und ſchien die in allen Schattirungen von Roth und Gold pran¬ genden Wolken wie in einem Strudel hinter ſich her¬ zuziehen. Von dem Punkte, wo ſie untergegangen war, ſchoſſen lichte Streifen durch die Wolken nach allen Seiten bis hoch hinauf in den durchſichtig blauen Himmel. Die See war nach dem Horinzonte hin ein Feuermeer, und auf einzelnen höheren Wellen zitterten die goldenen Funken bis zum Strand herüber. Das hohe vielfach zerklüftete Kreideufer und der Buchwald, der es krönte, waren von dem rothen Abendſchein, wie von einer bengaliſchen Flamme angeſtrahlt. Rings umher tiefe feierliche Stille, nur unterbrochen von dem dumpfen Rauſchen der Wogen unten auf den Kieſeln des Strandes, und dann und wann von dem grellen Schrei einer Möve, die über den erregten Waſſern flatterte.
Die Geſellſchaft ſtand, in Betrachtung des herrlichen Schauſpiels, das mit jedem Augenblicke wechſelte, verloren, gruppenweis da. Oswald, dem die ewigen Ach's und Oh's, an denen ſich beſonders die Baronin und Felix überboten, nachgerade langweilig wurden, hatte ſich etwas von den Uebrigen entfernt und ſich auf die bloß liegende Wurzel einer mächtigen Buche geſetzt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0032"n="22"/>
Sonne war ſoeben in das Meer geſunken und ſchien<lb/>
die in allen Schattirungen von Roth und Gold pran¬<lb/>
genden Wolken wie in einem Strudel hinter ſich her¬<lb/>
zuziehen. Von dem Punkte, wo ſie untergegangen war,<lb/>ſchoſſen lichte Streifen durch die Wolken nach allen<lb/>
Seiten bis hoch hinauf in den durchſichtig blauen<lb/>
Himmel. Die See war nach dem Horinzonte hin ein<lb/>
Feuermeer, und auf einzelnen höheren Wellen zitterten<lb/>
die goldenen Funken bis zum Strand herüber. Das<lb/>
hohe vielfach zerklüftete Kreideufer und der Buchwald,<lb/>
der es krönte, waren von dem rothen Abendſchein,<lb/>
wie von einer bengaliſchen Flamme angeſtrahlt. Rings<lb/>
umher tiefe feierliche Stille, nur unterbrochen von<lb/>
dem dumpfen Rauſchen der Wogen unten auf den<lb/>
Kieſeln des Strandes, und dann und wann von dem<lb/>
grellen Schrei einer Möve, die über den erregten<lb/>
Waſſern flatterte.</p><lb/><p>Die Geſellſchaft ſtand, in Betrachtung des<lb/>
herrlichen Schauſpiels, das mit jedem Augenblicke<lb/>
wechſelte, verloren, gruppenweis da. Oswald, dem die<lb/>
ewigen Ach's und Oh's, an denen ſich beſonders die<lb/>
Baronin und Felix überboten, nachgerade langweilig<lb/>
wurden, hatte ſich etwas von den Uebrigen entfernt<lb/>
und ſich auf die bloß liegende Wurzel einer mächtigen<lb/>
Buche geſetzt.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[22/0032]
Sonne war ſoeben in das Meer geſunken und ſchien
die in allen Schattirungen von Roth und Gold pran¬
genden Wolken wie in einem Strudel hinter ſich her¬
zuziehen. Von dem Punkte, wo ſie untergegangen war,
ſchoſſen lichte Streifen durch die Wolken nach allen
Seiten bis hoch hinauf in den durchſichtig blauen
Himmel. Die See war nach dem Horinzonte hin ein
Feuermeer, und auf einzelnen höheren Wellen zitterten
die goldenen Funken bis zum Strand herüber. Das
hohe vielfach zerklüftete Kreideufer und der Buchwald,
der es krönte, waren von dem rothen Abendſchein,
wie von einer bengaliſchen Flamme angeſtrahlt. Rings
umher tiefe feierliche Stille, nur unterbrochen von
dem dumpfen Rauſchen der Wogen unten auf den
Kieſeln des Strandes, und dann und wann von dem
grellen Schrei einer Möve, die über den erregten
Waſſern flatterte.
Die Geſellſchaft ſtand, in Betrachtung des
herrlichen Schauſpiels, das mit jedem Augenblicke
wechſelte, verloren, gruppenweis da. Oswald, dem die
ewigen Ach's und Oh's, an denen ſich beſonders die
Baronin und Felix überboten, nachgerade langweilig
wurden, hatte ſich etwas von den Uebrigen entfernt
und ſich auf die bloß liegende Wurzel einer mächtigen
Buche geſetzt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/32>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.