Er trocknete sich seine Stirn; sein ernstes Gesicht war bleich; er schien auf's Tiefste ergriffen.
Doctor Braun untersuchte den Kranken, dann blieb er neben dem Bett stehen, ohne die Andern anzu¬ blicken.
"Ist keine Hoffnung?"
"Keine."
Da richtete sich Bruno halb auf:
"Bist Du's, Mutter? kommst mich einzulullen? wie geht doch noch die alte Weise?"
Und in wunderbar süßen Tönen, leise, ganz leise, wie die Klänge einer Aeolsharfe, begann er ein schwe¬ disches Lied zu singen, wie es ihm wol seine Mutter vor langen Jahren gesungen haben mochte.
Er lehnte sich wieder in das Kissen zurück. Durch die tiefe Stille im Zimmer tönte nur das Schluchzen Oswalds; auch die Augen der beiden andern Männer standen voll Thränen.
"Bist Du es, Oswald?" fragte Bruno, "weshalb weinst Du? guten Abend, Herr Doctor; wo kommen Sie her? es geht wol zu Ende mit mir? Wo ist Baron Oldenburg? Geben Sie mir die Hand. Sie sind sehr gut gegen mich gewesen. Doctor, muß ich sterben? Ja? -- sagen Sie es mir, ich bin kein Feigling, ich habe es schon seit gestern gewußt; muß ich
Er trocknete ſich ſeine Stirn; ſein ernſtes Geſicht war bleich; er ſchien auf's Tiefſte ergriffen.
Doctor Braun unterſuchte den Kranken, dann blieb er neben dem Bett ſtehen, ohne die Andern anzu¬ blicken.
„Iſt keine Hoffnung?“
„Keine.“
Da richtete ſich Bruno halb auf:
„Biſt Du's, Mutter? kommſt mich einzulullen? wie geht doch noch die alte Weiſe?“
Und in wunderbar ſüßen Tönen, leiſe, ganz leiſe, wie die Klänge einer Aeolsharfe, begann er ein ſchwe¬ diſches Lied zu ſingen, wie es ihm wol ſeine Mutter vor langen Jahren geſungen haben mochte.
Er lehnte ſich wieder in das Kiſſen zurück. Durch die tiefe Stille im Zimmer tönte nur das Schluchzen Oswalds; auch die Augen der beiden andern Männer ſtanden voll Thränen.
„Biſt Du es, Oswald?“ fragte Bruno, „weshalb weinſt Du? guten Abend, Herr Doctor; wo kommen Sie her? es geht wol zu Ende mit mir? Wo iſt Baron Oldenburg? Geben Sie mir die Hand. Sie ſind ſehr gut gegen mich geweſen. Doctor, muß ich ſterben? Ja? — ſagen Sie es mir, ich bin kein Feigling, ich habe es ſchon ſeit geſtern gewußt; muß ich
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Er trocknete ſich ſeine Stirn; ſein ernſtes Geſicht
war bleich; er ſchien auf's Tiefſte ergriffen.
Doctor Braun unterſuchte den Kranken, dann blieb
er neben dem Bett ſtehen, ohne die Andern anzu¬
blicken.
„Iſt keine Hoffnung?“
„Keine.“
Da richtete ſich Bruno halb auf:
„Biſt Du's, Mutter? kommſt mich einzulullen?
wie geht doch noch die alte Weiſe?“
Und in wunderbar ſüßen Tönen, leiſe, ganz leiſe,
wie die Klänge einer Aeolsharfe, begann er ein ſchwe¬
diſches Lied zu ſingen, wie es ihm wol ſeine Mutter
vor langen Jahren geſungen haben mochte.
Er lehnte ſich wieder in das Kiſſen zurück. Durch
die tiefe Stille im Zimmer tönte nur das Schluchzen
Oswalds; auch die Augen der beiden andern Männer
ſtanden voll Thränen.
„Biſt Du es, Oswald?“ fragte Bruno, „weshalb
weinſt Du? guten Abend, Herr Doctor; wo kommen
Sie her? es geht wol zu Ende mit mir? Wo iſt
Baron Oldenburg? Geben Sie mir die Hand. Sie
ſind ſehr gut gegen mich geweſen. Doctor, muß ich
ſterben? Ja? — ſagen Sie es mir, ich bin kein
Feigling, ich habe es ſchon ſeit geſtern gewußt; muß ich
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/293>, abgerufen am 23.07.2024.
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