Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

saal zu führen, wo er die Polonaise mit einem feier¬
lich langsamen Walzer schloß.

"Das ist so gute alte Sitte, gnä'ge Frau!" kreischte
er vergnügt der Baronin ins Ohr; "mein Vater selig
hielt's so und mein Großvater selig. Die Alten
kannten den Rummel. Jugend hat keine Tugend.
Meinen's nicht auch, gnä'ge Frau?"

"Ja wohl, ja wohl!" sagte die Baronin.

Tanz reihte sich an Tanz. Die Geigen quinqui¬
lirten, der Baß brummte dazwischen. Die Gesichter
der Tänzer fingen an sich zu erhitzen; die Damen
begannen ihre Fächer häufiger zu benutzen; die Die¬
ner, welche in den Pausen mit Erfrischungen umher¬
gingen, sahen die Präsentirbretter immer schneller
geleert -- aber die rechte Lust wollte sich doch nicht
entzünden; es war, als ob ein Schleier über der Ge¬
sellschaft hing.

"Weiß der Teufel, was das heute ist," sagte der
junge Grieben, sich die Stirn wischend, in einer der
Pausen an eine Gruppe von Tänzern, die mitten
im Saal stand, herantretend; "man tanzt sich fast
die Beine ab, aber es geht nicht; man kommt nicht
in Zug."

"Nun, Sie können lange tanzen, bis Sie Ihre
langen Beine abgetanzt haben," sagte von Sylow,

ſaal zu führen, wo er die Polonaiſe mit einem feier¬
lich langſamen Walzer ſchloß.

„Das iſt ſo gute alte Sitte, gnä'ge Frau!“ kreiſchte
er vergnügt der Baronin ins Ohr; „mein Vater ſelig
hielt's ſo und mein Großvater ſelig. Die Alten
kannten den Rummel. Jugend hat keine Tugend.
Meinen's nicht auch, gnä'ge Frau?“

„Ja wohl, ja wohl!“ ſagte die Baronin.

Tanz reihte ſich an Tanz. Die Geigen quinqui¬
lirten, der Baß brummte dazwiſchen. Die Geſichter
der Tänzer fingen an ſich zu erhitzen; die Damen
begannen ihre Fächer häufiger zu benutzen; die Die¬
ner, welche in den Pauſen mit Erfriſchungen umher¬
gingen, ſahen die Präſentirbretter immer ſchneller
geleert — aber die rechte Luſt wollte ſich doch nicht
entzünden; es war, als ob ein Schleier über der Ge¬
ſellſchaft hing.

„Weiß der Teufel, was das heute iſt,“ ſagte der
junge Grieben, ſich die Stirn wiſchend, in einer der
Pauſen an eine Gruppe von Tänzern, die mitten
im Saal ſtand, herantretend; „man tanzt ſich faſt
die Beine ab, aber es geht nicht; man kommt nicht
in Zug.“

„Nun, Sie können lange tanzen, bis Sie Ihre
langen Beine abgetanzt haben,“ ſagte von Sylow,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0252" n="242"/>
&#x017F;aal zu führen, wo er die Polonai&#x017F;e mit einem feier¬<lb/>
lich lang&#x017F;amen Walzer &#x017F;chloß.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t &#x017F;o gute alte Sitte, gnä'ge Frau!&#x201C; krei&#x017F;chte<lb/>
er vergnügt der Baronin ins Ohr; &#x201E;mein Vater &#x017F;elig<lb/>
hielt's &#x017F;o und mein Großvater &#x017F;elig. Die Alten<lb/>
kannten den Rummel. Jugend hat keine Tugend.<lb/>
Meinen's nicht auch, gnä'ge Frau?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja wohl, ja wohl!&#x201C; &#x017F;agte die Baronin.</p><lb/>
        <p>Tanz reihte &#x017F;ich an Tanz. Die Geigen quinqui¬<lb/>
lirten, der Baß brummte dazwi&#x017F;chen. Die Ge&#x017F;ichter<lb/>
der Tänzer fingen an &#x017F;ich zu erhitzen; die Damen<lb/>
begannen ihre Fächer häufiger zu benutzen; die Die¬<lb/>
ner, welche in den Pau&#x017F;en mit Erfri&#x017F;chungen umher¬<lb/>
gingen, &#x017F;ahen die Prä&#x017F;entirbretter immer &#x017F;chneller<lb/>
geleert &#x2014; aber die rechte Lu&#x017F;t wollte &#x017F;ich doch nicht<lb/>
entzünden; es war, als ob ein Schleier über der Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft hing.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weiß der Teufel, was das heute i&#x017F;t,&#x201C; &#x017F;agte der<lb/>
junge Grieben, &#x017F;ich die Stirn wi&#x017F;chend, in einer der<lb/>
Pau&#x017F;en an eine Gruppe von Tänzern, die mitten<lb/>
im Saal &#x017F;tand, herantretend; &#x201E;man tanzt &#x017F;ich fa&#x017F;t<lb/>
die Beine ab, aber es geht nicht; man kommt nicht<lb/>
in Zug.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, Sie können lange tanzen, bis Sie Ihre<lb/>
langen Beine abgetanzt haben,&#x201C; &#x017F;agte von Sylow,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0252] ſaal zu führen, wo er die Polonaiſe mit einem feier¬ lich langſamen Walzer ſchloß. „Das iſt ſo gute alte Sitte, gnä'ge Frau!“ kreiſchte er vergnügt der Baronin ins Ohr; „mein Vater ſelig hielt's ſo und mein Großvater ſelig. Die Alten kannten den Rummel. Jugend hat keine Tugend. Meinen's nicht auch, gnä'ge Frau?“ „Ja wohl, ja wohl!“ ſagte die Baronin. Tanz reihte ſich an Tanz. Die Geigen quinqui¬ lirten, der Baß brummte dazwiſchen. Die Geſichter der Tänzer fingen an ſich zu erhitzen; die Damen begannen ihre Fächer häufiger zu benutzen; die Die¬ ner, welche in den Pauſen mit Erfriſchungen umher¬ gingen, ſahen die Präſentirbretter immer ſchneller geleert — aber die rechte Luſt wollte ſich doch nicht entzünden; es war, als ob ein Schleier über der Ge¬ ſellſchaft hing. „Weiß der Teufel, was das heute iſt,“ ſagte der junge Grieben, ſich die Stirn wiſchend, in einer der Pauſen an eine Gruppe von Tänzern, die mitten im Saal ſtand, herantretend; „man tanzt ſich faſt die Beine ab, aber es geht nicht; man kommt nicht in Zug.“ „Nun, Sie können lange tanzen, bis Sie Ihre langen Beine abgetanzt haben,“ ſagte von Sylow,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/252
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/252>, abgerufen am 23.12.2024.