Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

welches die Liebe über alles Wissen und jede höchste
Kraft des Menschen setzt, und sie die größte nennt
unter allen Tugenden.

Wie Alle, welche die Liebe im besten Falle für
einen sehr überflüssigen Luxus halten, und an sich
selbst zu wenig Gelegenheit haben, diese wunderbare
Kraft in ihren Wirkungen zu studiren, beging die
Baronin den Fehler, bei ihren Projecten diese Eigen¬
thümlichkeit ihres Gemals entweder gar nicht in Rech¬
nung zu bringen, oder doch viel zu gering anzu¬
schlagen. So war es auch in diesem Falle gewesen.
Sie hatte nicht bedacht, daß der Baron ja am Ende
doch sein Kind lieben und dann natürlich ihr Glück,
ihre Ruhe höher anschlagen könnte, als alle weltlichen
Vortheile. Und nun geschah wirklich das Unglaub¬
liche. Der alte Herr erklärte mit großer Entschieden¬
heit, daß er die Vortheile, welche allen Betheiligten
aus einer Verbindung zwischen Felix und Helene er¬
wachsen könnten, durchaus zu würdigen wisse; daß er
sich sehr gefreut haben würde, wäre diese Verbindung
zu Stande gekommen, daß es aber schließlich doch die
Ruhe und das Glück Helenen's sei, um die es sich
handle, und daß, wenn Helene erkläre, Felix nicht
lieben zu können, die Sache damit ein für alle Mal
abgemacht sei. Dabei blieb er, mochte Anna-Maria

welches die Liebe über alles Wiſſen und jede höchſte
Kraft des Menſchen ſetzt, und ſie die größte nennt
unter allen Tugenden.

Wie Alle, welche die Liebe im beſten Falle für
einen ſehr überflüſſigen Luxus halten, und an ſich
ſelbſt zu wenig Gelegenheit haben, dieſe wunderbare
Kraft in ihren Wirkungen zu ſtudiren, beging die
Baronin den Fehler, bei ihren Projecten dieſe Eigen¬
thümlichkeit ihres Gemals entweder gar nicht in Rech¬
nung zu bringen, oder doch viel zu gering anzu¬
ſchlagen. So war es auch in dieſem Falle geweſen.
Sie hatte nicht bedacht, daß der Baron ja am Ende
doch ſein Kind lieben und dann natürlich ihr Glück,
ihre Ruhe höher anſchlagen könnte, als alle weltlichen
Vortheile. Und nun geſchah wirklich das Unglaub¬
liche. Der alte Herr erklärte mit großer Entſchieden¬
heit, daß er die Vortheile, welche allen Betheiligten
aus einer Verbindung zwiſchen Felix und Helene er¬
wachſen könnten, durchaus zu würdigen wiſſe; daß er
ſich ſehr gefreut haben würde, wäre dieſe Verbindung
zu Stande gekommen, daß es aber ſchließlich doch die
Ruhe und das Glück Helenen's ſei, um die es ſich
handle, und daß, wenn Helene erkläre, Felix nicht
lieben zu können, die Sache damit ein für alle Mal
abgemacht ſei. Dabei blieb er, mochte Anna-Maria

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="218"/>
welches die Liebe über alles Wi&#x017F;&#x017F;en und jede höch&#x017F;te<lb/>
Kraft des Men&#x017F;chen &#x017F;etzt, und &#x017F;ie die größte nennt<lb/>
unter allen Tugenden.</p><lb/>
        <p>Wie Alle, welche die Liebe im be&#x017F;ten Falle für<lb/>
einen &#x017F;ehr überflü&#x017F;&#x017F;igen Luxus halten, und an &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu wenig Gelegenheit haben, die&#x017F;e wunderbare<lb/>
Kraft in ihren Wirkungen zu &#x017F;tudiren, beging die<lb/>
Baronin den Fehler, bei ihren Projecten die&#x017F;e Eigen¬<lb/>
thümlichkeit ihres Gemals entweder gar nicht in Rech¬<lb/>
nung zu bringen, oder doch viel zu gering anzu¬<lb/>
&#x017F;chlagen. So war es auch in die&#x017F;em Falle gewe&#x017F;en.<lb/>
Sie hatte nicht bedacht, daß der Baron ja am Ende<lb/>
doch &#x017F;ein Kind lieben und dann natürlich ihr Glück,<lb/>
ihre Ruhe höher an&#x017F;chlagen könnte, als alle weltlichen<lb/>
Vortheile. Und nun ge&#x017F;chah wirklich das Unglaub¬<lb/>
liche. Der alte Herr erklärte mit großer Ent&#x017F;chieden¬<lb/>
heit, daß er die Vortheile, welche allen Betheiligten<lb/>
aus einer Verbindung zwi&#x017F;chen Felix und Helene er¬<lb/>
wach&#x017F;en könnten, durchaus zu würdigen wi&#x017F;&#x017F;e; daß er<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehr gefreut haben würde, wäre die&#x017F;e Verbindung<lb/>
zu Stande gekommen, daß es aber &#x017F;chließlich doch die<lb/>
Ruhe und das Glück Helenen's &#x017F;ei, um die es &#x017F;ich<lb/>
handle, und daß, wenn Helene erkläre, Felix nicht<lb/>
lieben zu können, die Sache damit ein für alle Mal<lb/>
abgemacht &#x017F;ei. Dabei blieb er, mochte Anna-Maria<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0228] welches die Liebe über alles Wiſſen und jede höchſte Kraft des Menſchen ſetzt, und ſie die größte nennt unter allen Tugenden. Wie Alle, welche die Liebe im beſten Falle für einen ſehr überflüſſigen Luxus halten, und an ſich ſelbſt zu wenig Gelegenheit haben, dieſe wunderbare Kraft in ihren Wirkungen zu ſtudiren, beging die Baronin den Fehler, bei ihren Projecten dieſe Eigen¬ thümlichkeit ihres Gemals entweder gar nicht in Rech¬ nung zu bringen, oder doch viel zu gering anzu¬ ſchlagen. So war es auch in dieſem Falle geweſen. Sie hatte nicht bedacht, daß der Baron ja am Ende doch ſein Kind lieben und dann natürlich ihr Glück, ihre Ruhe höher anſchlagen könnte, als alle weltlichen Vortheile. Und nun geſchah wirklich das Unglaub¬ liche. Der alte Herr erklärte mit großer Entſchieden¬ heit, daß er die Vortheile, welche allen Betheiligten aus einer Verbindung zwiſchen Felix und Helene er¬ wachſen könnten, durchaus zu würdigen wiſſe; daß er ſich ſehr gefreut haben würde, wäre dieſe Verbindung zu Stande gekommen, daß es aber ſchließlich doch die Ruhe und das Glück Helenen's ſei, um die es ſich handle, und daß, wenn Helene erkläre, Felix nicht lieben zu können, die Sache damit ein für alle Mal abgemacht ſei. Dabei blieb er, mochte Anna-Maria

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/228
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/228>, abgerufen am 22.12.2024.