abgöttischer Verehrung an ihr hing, ein Geist des Widerspruchs geregt, oft, wo sie es am allerwenigsten erwartete. Sie hatte durch kluge, rechtzeitige Nach¬ giebigkeit dann jedes Mal dergleichen Meinungsver¬ schiedenheiten zu beseitigen gewußt, was ihr um so leichter geworden war, als es sich meistens um höchst gleichgültige Dinge handelte. Wenn sie die Fälle, wo diese "Rechthaberei" ihres Gemals hervorgetreten war, mit einander verglichen hätte, würde sie bemerkt ha¬ ben, daß es stets der gerade Sinn, die unverwüstliche Gutmüthigkeit des Barons gewesen waren, die sich gegen eine egoistische Maßregel der Baronin in aller Bescheidenheit, aber großer Bestimmtheit aufgelehnt hatten. Wie sehr auch der alte Herr seinen Verstand gefangen gegeben hatte, es lebte in ihm ein Etwas, das mächtiger war, als alle Sophismen, mit denen ihn seine Gattin umgarnte; ein göttlicher Funke, der gelegentlich noch immer zur Flamme werden konnte. Dieses Etwas, dieser göttliche Funke war die Liebe, war die Fähigkeit, sich selbst über dem Andern zu vergessen, sein Glück in dem Glück Anderer zu finden. Wo diese Fähigkeit noch besteht, da ist, und wäre das Individuum noch so tief gesunken, noch Alles zu ret¬ ten; wo sie verloren, ist Alles verloren. Denn ein wahreres Wort ist nie gesprochen, als jenes Wort,
abgöttiſcher Verehrung an ihr hing, ein Geiſt des Widerſpruchs geregt, oft, wo ſie es am allerwenigſten erwartete. Sie hatte durch kluge, rechtzeitige Nach¬ giebigkeit dann jedes Mal dergleichen Meinungsver¬ ſchiedenheiten zu beſeitigen gewußt, was ihr um ſo leichter geworden war, als es ſich meiſtens um höchſt gleichgültige Dinge handelte. Wenn ſie die Fälle, wo dieſe „Rechthaberei“ ihres Gemals hervorgetreten war, mit einander verglichen hätte, würde ſie bemerkt ha¬ ben, daß es ſtets der gerade Sinn, die unverwüſtliche Gutmüthigkeit des Barons geweſen waren, die ſich gegen eine egoiſtiſche Maßregel der Baronin in aller Beſcheidenheit, aber großer Beſtimmtheit aufgelehnt hatten. Wie ſehr auch der alte Herr ſeinen Verſtand gefangen gegeben hatte, es lebte in ihm ein Etwas, das mächtiger war, als alle Sophismen, mit denen ihn ſeine Gattin umgarnte; ein göttlicher Funke, der gelegentlich noch immer zur Flamme werden konnte. Dieſes Etwas, dieſer göttliche Funke war die Liebe, war die Fähigkeit, ſich ſelbſt über dem Andern zu vergeſſen, ſein Glück in dem Glück Anderer zu finden. Wo dieſe Fähigkeit noch beſteht, da iſt, und wäre das Individuum noch ſo tief geſunken, noch Alles zu ret¬ ten; wo ſie verloren, iſt Alles verloren. Denn ein wahreres Wort iſt nie geſprochen, als jenes Wort,
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abgöttiſcher Verehrung an ihr hing, ein Geiſt des
Widerſpruchs geregt, oft, wo ſie es am allerwenigſten
erwartete. Sie hatte durch kluge, rechtzeitige Nach¬
giebigkeit dann jedes Mal dergleichen Meinungsver¬
ſchiedenheiten zu beſeitigen gewußt, was ihr um ſo
leichter geworden war, als es ſich meiſtens um höchſt
gleichgültige Dinge handelte. Wenn ſie die Fälle, wo
dieſe „Rechthaberei“ ihres Gemals hervorgetreten war,
mit einander verglichen hätte, würde ſie bemerkt ha¬
ben, daß es ſtets der gerade Sinn, die unverwüſtliche
Gutmüthigkeit des Barons geweſen waren, die ſich
gegen eine egoiſtiſche Maßregel der Baronin in aller
Beſcheidenheit, aber großer Beſtimmtheit aufgelehnt
hatten. Wie ſehr auch der alte Herr ſeinen Verſtand
gefangen gegeben hatte, es lebte in ihm ein Etwas,
das mächtiger war, als alle Sophismen, mit denen
ihn ſeine Gattin umgarnte; ein göttlicher Funke, der
gelegentlich noch immer zur Flamme werden konnte.
Dieſes Etwas, dieſer göttliche Funke war die Liebe,
war die Fähigkeit, ſich ſelbſt über dem Andern zu
vergeſſen, ſein Glück in dem Glück Anderer zu finden.
Wo dieſe Fähigkeit noch beſteht, da iſt, und wäre das
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/227>, abgerufen am 23.12.2024.
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