leidenschaftlichen und doch so klaren, so überzeugenden Worte Bruno's auf Oswald machten. Morgen schon sollte das Entsetzliche geschehen; allem Anschein nach ahnte sie nichts davon. Man wollte sie durch Ueber¬ raschung zwingen; ihr ein Wort abnöthigen, daß sie hernach zurückzunehmen zu stolz sein würde. Und welche Bewandtniß hatte es mit diesem Brief, von dem Bruno und Oswald nur die Aufschrift kannten, der mit Helenen's Petschaft zugesiegelt gewesen war und den die Baronin doch offenbar verloren hatte. Daß hier Verrath im Spiele sei, daß dieser Brief den Zwecken der Baronin hatte dienen müssen, daß es nothwendig sei, diesen Brief wieder in Helenen's Hände gelangen zu lassen, damit sie erfuhr, welcher Waffen man sich gegen sie bediene, und sie diese Waffen in dem nöthigen Augenblick, der morgen schon eintreten mußte, gegen ihre Gegner richten könne -- das Alles war natürlich auch Oswald sofort klar, und nur über den einzuschlagenden Weg konnten sie sich anfänglich nicht einigen. Bruno wollte, daß Os¬ wald Helenen nicht nur den Brief gebe, sondern ihr auch den Inhalt des Gesprächs zwischen der Baronin und Felix mittheile. Oswald erklärte, daß das Letztere schlechterdings unmöglich sei; Bruno, in seiner Eigen¬ schaft als Verwandter und als erklärter Günstling
leidenſchaftlichen und doch ſo klaren, ſo überzeugenden Worte Bruno's auf Oswald machten. Morgen ſchon ſollte das Entſetzliche geſchehen; allem Anſchein nach ahnte ſie nichts davon. Man wollte ſie durch Ueber¬ raſchung zwingen; ihr ein Wort abnöthigen, daß ſie hernach zurückzunehmen zu ſtolz ſein würde. Und welche Bewandtniß hatte es mit dieſem Brief, von dem Bruno und Oswald nur die Aufſchrift kannten, der mit Helenen's Petſchaft zugeſiegelt geweſen war und den die Baronin doch offenbar verloren hatte. Daß hier Verrath im Spiele ſei, daß dieſer Brief den Zwecken der Baronin hatte dienen müſſen, daß es nothwendig ſei, dieſen Brief wieder in Helenen's Hände gelangen zu laſſen, damit ſie erfuhr, welcher Waffen man ſich gegen ſie bediene, und ſie dieſe Waffen in dem nöthigen Augenblick, der morgen ſchon eintreten mußte, gegen ihre Gegner richten könne — das Alles war natürlich auch Oswald ſofort klar, und nur über den einzuſchlagenden Weg konnten ſie ſich anfänglich nicht einigen. Bruno wollte, daß Os¬ wald Helenen nicht nur den Brief gebe, ſondern ihr auch den Inhalt des Geſprächs zwiſchen der Baronin und Felix mittheile. Oswald erklärte, daß das Letztere ſchlechterdings unmöglich ſei; Bruno, in ſeiner Eigen¬ ſchaft als Verwandter und als erklärter Günſtling
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leidenſchaftlichen und doch ſo klaren, ſo überzeugenden
Worte Bruno's auf Oswald machten. Morgen ſchon
ſollte das Entſetzliche geſchehen; allem Anſchein nach
ahnte ſie nichts davon. Man wollte ſie durch Ueber¬
raſchung zwingen; ihr ein Wort abnöthigen, daß ſie
hernach zurückzunehmen zu ſtolz ſein würde. Und
welche Bewandtniß hatte es mit dieſem Brief, von
dem Bruno und Oswald nur die Aufſchrift kannten,
der mit Helenen's Petſchaft zugeſiegelt geweſen war
und den die Baronin doch offenbar verloren hatte.
Daß hier Verrath im Spiele ſei, daß dieſer Brief
den Zwecken der Baronin hatte dienen müſſen, daß
es nothwendig ſei, dieſen Brief wieder in Helenen's
Hände gelangen zu laſſen, damit ſie erfuhr, welcher
Waffen man ſich gegen ſie bediene, und ſie dieſe
Waffen in dem nöthigen Augenblick, der morgen ſchon
eintreten mußte, gegen ihre Gegner richten könne —
das Alles war natürlich auch Oswald ſofort klar,
und nur über den einzuſchlagenden Weg konnten ſie
ſich anfänglich nicht einigen. Bruno wollte, daß Os¬
wald Helenen nicht nur den Brief gebe, ſondern ihr
auch den Inhalt des Geſprächs zwiſchen der Baronin
und Felix mittheile. Oswald erklärte, daß das Letztere
ſchlechterdings unmöglich ſei; Bruno, in ſeiner Eigen¬
ſchaft als Verwandter und als erklärter Günſtling
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/198>, abgerufen am 22.12.2024.
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