Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte ihn gewähren lassen und ließ ihn gewähren, weil man sich sagte: er kann mehr als die Uebrigen.
So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein Knabe, mit einem Herzen, an dessen Feuer sich eine todte Welt hätte beleben können.
So sah er Helenen.
Und alle Melodien, die in ihm geschlummert hatten, erklangen, und Alles, was er bisher Schönstes und Lieblichstes geträumt hatte, stand wahr und wirklich, verkörpert vor ihm. Der Knabe traute seinen Augen kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie Jemand, der aus einem schönen Traum zur schöneren Wirklichkeit erwacht und nicht zu sprechen, ja kaum zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb und halb für eine Sinnentäuschung hält, nicht zu ver¬ scheuchen. So ging er in den ersten Tagen nach der Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann aber schwand die Traumesseligkeit, und das Entzücken über die köstliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz. Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war sein Herz nie gewesen; aber jetzt folterte ihn eine Unrast, die ihm Schlaf und Hunger und Durst verscheuchte, die wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und sein armes
Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte ihn gewähren laſſen und ließ ihn gewähren, weil man ſich ſagte: er kann mehr als die Uebrigen.
So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein Knabe, mit einem Herzen, an deſſen Feuer ſich eine todte Welt hätte beleben können.
So ſah er Helenen.
Und alle Melodien, die in ihm geſchlummert hatten, erklangen, und Alles, was er bisher Schönſtes und Lieblichſtes geträumt hatte, ſtand wahr und wirklich, verkörpert vor ihm. Der Knabe traute ſeinen Augen kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie Jemand, der aus einem ſchönen Traum zur ſchöneren Wirklichkeit erwacht und nicht zu ſprechen, ja kaum zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb und halb für eine Sinnentäuſchung hält, nicht zu ver¬ ſcheuchen. So ging er in den erſten Tagen nach der Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann aber ſchwand die Traumesſeligkeit, und das Entzücken über die köſtliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz. Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war ſein Herz nie geweſen; aber jetzt folterte ihn eine Unraſt, die ihm Schlaf und Hunger und Durſt verſcheuchte, die wie ein wildes Fieber in ihm brannte, und ſein armes
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Blick auf die, welche er lieb hatte, und man mußte
ihn gewähren laſſen und ließ ihn gewähren, weil man
ſich ſagte: er kann mehr als die Uebrigen.
So war Bruno: ein Jüngling mehr, wie ein
Knabe, mit einem Herzen, an deſſen Feuer ſich eine
todte Welt hätte beleben können.
So ſah er Helenen.
Und alle Melodien, die in ihm geſchlummert hatten,
erklangen, und Alles, was er bisher Schönſtes und
Lieblichſtes geträumt hatte, ſtand wahr und wirklich,
verkörpert vor ihm. Der Knabe traute ſeinen Augen
kaum; er war wie geblendet, wie trunken; er war wie
Jemand, der aus einem ſchönen Traum zur ſchöneren
Wirklichkeit erwacht und nicht zu ſprechen, ja kaum
zu athmen wagt, um das, was er noch immer halb
und halb für eine Sinnentäuſchung hält, nicht zu ver¬
ſcheuchen. So ging er in den erſten Tagen nach der
Rückkehr der Familie wie im Traum umher, gegen
die Gewohnheit mild und freundlich gegen Alle. Dann
aber ſchwand die Traumesſeligkeit, und das Entzücken
über die köſtliche Wirklichkeit wurde zum Schmerz.
Ruhe hatte er nie gehabt, und leicht war ſein Herz
nie geweſen; aber jetzt folterte ihn eine Unraſt, die
ihm Schlaf und Hunger und Durſt verſcheuchte, die
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/191>, abgerufen am 22.12.2024.
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