hänge der Schein einer Lampe. Es war Helenen's Zimmer. Felix sah in regelmäßigen Zwischenräumen die undeutlichen Umrisse ihrer Gestalt hinter dem Vor¬ hang -- offenbar schritt sie im Zimmer auf und ab. Dann mußte sie sich wieder an das Clavier gesetzt haben, denn einzelne Töne, den Lauten des Vogels gleich, der im hellen Mondschein träumend sein Lied zu singen versucht, irrten durch den stillen Garten; die Töne flossen zusammen zu Accorden und endlich strömte in vollen rauschenden Wogen Beethoven's herrliche Sonate pathetique, wie der Gesang eines Engels, der um Mitternacht mit ausgebreiteten Flü¬ geln über die Erde schwebt, und alles Erdenleid und alle Erdenqual in seinem göttlichen Herzen sammelt und es ausströmt in ein feierliches Lied voll unend¬ licher Schwermuth und himmlischer Süßigkeit . . .
Ob Felix in diesem Augenblick, wo er, den Arm auf eine Urnensäule gelehnt, lauschend dastand, nicht doch eine Art von Gewissensbiß empfand darüber, daß er, der Wüstling, der Unreine die Hand auszustrecken, die Augen zu erheben wagte zu ihr, der Keuschen, Reinen? . . . Felix war nicht ohne alles Gefühl; er konnte sich selbst für das Schöne und Große begei¬ stern, wenn diese Begeisterung auch nur immer sehr kurze Zeit anhielt, und vor dem ersten Anhauch irgend
hänge der Schein einer Lampe. Es war Helenen's Zimmer. Felix ſah in regelmäßigen Zwiſchenräumen die undeutlichen Umriſſe ihrer Geſtalt hinter dem Vor¬ hang — offenbar ſchritt ſie im Zimmer auf und ab. Dann mußte ſie ſich wieder an das Clavier geſetzt haben, denn einzelne Töne, den Lauten des Vogels gleich, der im hellen Mondſchein träumend ſein Lied zu ſingen verſucht, irrten durch den ſtillen Garten; die Töne floſſen zuſammen zu Accorden und endlich ſtrömte in vollen rauſchenden Wogen Beethoven's herrliche Sonate pathétique, wie der Geſang eines Engels, der um Mitternacht mit ausgebreiteten Flü¬ geln über die Erde ſchwebt, und alles Erdenleid und alle Erdenqual in ſeinem göttlichen Herzen ſammelt und es ausſtrömt in ein feierliches Lied voll unend¬ licher Schwermuth und himmliſcher Süßigkeit . . .
Ob Felix in dieſem Augenblick, wo er, den Arm auf eine Urnenſäule gelehnt, lauſchend daſtand, nicht doch eine Art von Gewiſſensbiß empfand darüber, daß er, der Wüſtling, der Unreine die Hand auszuſtrecken, die Augen zu erheben wagte zu ihr, der Keuſchen, Reinen? . . . Felix war nicht ohne alles Gefühl; er konnte ſich ſelbſt für das Schöne und Große begei¬ ſtern, wenn dieſe Begeiſterung auch nur immer ſehr kurze Zeit anhielt, und vor dem erſten Anhauch irgend
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hänge der Schein einer Lampe. Es war Helenen's
Zimmer. Felix ſah in regelmäßigen Zwiſchenräumen
die undeutlichen Umriſſe ihrer Geſtalt hinter dem Vor¬
hang — offenbar ſchritt ſie im Zimmer auf und ab.
Dann mußte ſie ſich wieder an das Clavier geſetzt
haben, denn einzelne Töne, den Lauten des Vogels
gleich, der im hellen Mondſchein träumend ſein Lied
zu ſingen verſucht, irrten durch den ſtillen Garten;
die Töne floſſen zuſammen zu Accorden und endlich
ſtrömte in vollen rauſchenden Wogen Beethoven's
herrliche Sonate pathétique, wie der Geſang eines
Engels, der um Mitternacht mit ausgebreiteten Flü¬
geln über die Erde ſchwebt, und alles Erdenleid und
alle Erdenqual in ſeinem göttlichen Herzen ſammelt
und es ausſtrömt in ein feierliches Lied voll unend¬
licher Schwermuth und himmliſcher Süßigkeit . . .
Ob Felix in dieſem Augenblick, wo er, den Arm
auf eine Urnenſäule gelehnt, lauſchend daſtand, nicht
doch eine Art von Gewiſſensbiß empfand darüber, daß
er, der Wüſtling, der Unreine die Hand auszuſtrecken,
die Augen zu erheben wagte zu ihr, der Keuſchen,
Reinen? . . . Felix war nicht ohne alles Gefühl; er
konnte ſich ſelbſt für das Schöne und Große begei¬
ſtern, wenn dieſe Begeiſterung auch nur immer ſehr
kurze Zeit anhielt, und vor dem erſten Anhauch irgend
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/160>, abgerufen am 23.12.2024.
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