Kummer nichts, als die rothgeweinten Augen, die sie durch heftigen Kopfschmerz erklären zu können hoffte, wenn sie Jemand darnach fragte. Es fragte sie aber Keiner.
Hatten doch Alle genug mit sich selbst zu thun! war doch Jeder vollauf mit dem, was ihm zunächst am Herzen lag, beschäftigt!
Der Tod der alten Frau war für Oswald ein neuer Schlag. Wieder war ihm eines der wenigen Wesen, an denen er einen innigeren Antheil nahm, ganz plötzlich geraubt. Es war, als ob sein verdü¬ stertes Gemüth nicht zur Ruhe kommen, als ob an seinem Himmel der letzte helle Streifen verschwinden, und gänzliche Nacht ihn umgeben sollte! Er hatte Mutter Clausen nur selten gesehen, aber es war jedes Mal unter so eigenthümlichen Verhältnissen gewesen; er hatte jedes Mal einen so tiefen, ja erschütternden Eindruck von diesen Begegnungen davongetragen, daß ihm jetzt war, als hätte er eine Ahne verloren, deren zärtliche Liebe er mit Gleichgültigkeit und Undank ver¬ golten hatte. Wie bestimmt hatte er sich vorgenommen, als er das letzte Mal mit Albert in ihrer Hütte ge¬ wesen war, die alte Frau nicht wieder aus den Augen zu verlieren; nachzufragen, ob er ihr in irgend einer Weise dienen, irgendwie ihr einsames Alter erfreuen
Kummer nichts, als die rothgeweinten Augen, die ſie durch heftigen Kopfſchmerz erklären zu können hoffte, wenn ſie Jemand darnach fragte. Es fragte ſie aber Keiner.
Hatten doch Alle genug mit ſich ſelbſt zu thun! war doch Jeder vollauf mit dem, was ihm zunächſt am Herzen lag, beſchäftigt!
Der Tod der alten Frau war für Oswald ein neuer Schlag. Wieder war ihm eines der wenigen Weſen, an denen er einen innigeren Antheil nahm, ganz plötzlich geraubt. Es war, als ob ſein verdü¬ ſtertes Gemüth nicht zur Ruhe kommen, als ob an ſeinem Himmel der letzte helle Streifen verſchwinden, und gänzliche Nacht ihn umgeben ſollte! Er hatte Mutter Clauſen nur ſelten geſehen, aber es war jedes Mal unter ſo eigenthümlichen Verhältniſſen geweſen; er hatte jedes Mal einen ſo tiefen, ja erſchütternden Eindruck von dieſen Begegnungen davongetragen, daß ihm jetzt war, als hätte er eine Ahne verloren, deren zärtliche Liebe er mit Gleichgültigkeit und Undank ver¬ golten hatte. Wie beſtimmt hatte er ſich vorgenommen, als er das letzte Mal mit Albert in ihrer Hütte ge¬ weſen war, die alte Frau nicht wieder aus den Augen zu verlieren; nachzufragen, ob er ihr in irgend einer Weiſe dienen, irgendwie ihr einſames Alter erfreuen
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Kummer nichts, als die rothgeweinten Augen, die ſie
durch heftigen Kopfſchmerz erklären zu können hoffte,
wenn ſie Jemand darnach fragte. Es fragte ſie aber
Keiner.
Hatten doch Alle genug mit ſich ſelbſt zu thun!
war doch Jeder vollauf mit dem, was ihm zunächſt
am Herzen lag, beſchäftigt!
Der Tod der alten Frau war für Oswald ein
neuer Schlag. Wieder war ihm eines der wenigen
Weſen, an denen er einen innigeren Antheil nahm,
ganz plötzlich geraubt. Es war, als ob ſein verdü¬
ſtertes Gemüth nicht zur Ruhe kommen, als ob an
ſeinem Himmel der letzte helle Streifen verſchwinden,
und gänzliche Nacht ihn umgeben ſollte! Er hatte
Mutter Clauſen nur ſelten geſehen, aber es war jedes
Mal unter ſo eigenthümlichen Verhältniſſen geweſen;
er hatte jedes Mal einen ſo tiefen, ja erſchütternden
Eindruck von dieſen Begegnungen davongetragen, daß
ihm jetzt war, als hätte er eine Ahne verloren, deren
zärtliche Liebe er mit Gleichgültigkeit und Undank ver¬
golten hatte. Wie beſtimmt hatte er ſich vorgenommen,
als er das letzte Mal mit Albert in ihrer Hütte ge¬
weſen war, die alte Frau nicht wieder aus den Augen
zu verlieren; nachzufragen, ob er ihr in irgend einer
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/127>, abgerufen am 23.12.2024.
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