Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

ob sich etwas im Hause rege. Er hörte nichts, als
das Ticken der großen Schwarzwälder-Uhr aus der
Stube Jochen's, und von der Dorfstraße her das
Lachen von ein paar Kindern -- Mutter Clausen's
kleinen Pflegekindern -- die sich in der Abendsonne
im Sande balgten.

"Jetzt nur um Himmelswillen keine mitleidige
Seele bei der Kranken in der Stube," murmelte
Albert, leise die Thür, die zu dem Stübchen der Alten
führte, aufdrückend.

Er trat auf den Fußspitzen ein. Es dunkelte schon
in dem niedrigen engen Raum. Albert's erster Blick
fiel auf die große Lade, die noch wie damals in der
Ecke stand; sein zweiter auf die Gestalt der Alten.
Sie saß auf dem großen Lehnstuhle, "in welchem
Baron Oscar gestorben war." Sie hatte ihren Sonn¬
tagsstaat angelegt; ihr Eichenstock lehnte neben ihr
-- man hätte glauben sollen, sie habe sich bereit ge¬
macht, nach Faschwitz in die Kirche zu gehen und sei
nur eben noch ein wenig eingenickt, sich auf den lan¬
gen, langen Weg vorzubereiten.

"Bist Du es, Junker!" sagte sie mit zitternder
Stimme, und sie hob das Haupt mit dem schnee¬
weißen Haar empor und blickte nach der Thür. "Tritt
näher -- ganz nahe, daß ich Dich mit der Hand be¬

ob ſich etwas im Hauſe rege. Er hörte nichts, als
das Ticken der großen Schwarzwälder-Uhr aus der
Stube Jochen's, und von der Dorfſtraße her das
Lachen von ein paar Kindern — Mutter Clauſen's
kleinen Pflegekindern — die ſich in der Abendſonne
im Sande balgten.

„Jetzt nur um Himmelswillen keine mitleidige
Seele bei der Kranken in der Stube,“ murmelte
Albert, leiſe die Thür, die zu dem Stübchen der Alten
führte, aufdrückend.

Er trat auf den Fußſpitzen ein. Es dunkelte ſchon
in dem niedrigen engen Raum. Albert's erſter Blick
fiel auf die große Lade, die noch wie damals in der
Ecke ſtand; ſein zweiter auf die Geſtalt der Alten.
Sie ſaß auf dem großen Lehnſtuhle, „in welchem
Baron Oscar geſtorben war.“ Sie hatte ihren Sonn¬
tagsſtaat angelegt; ihr Eichenſtock lehnte neben ihr
— man hätte glauben ſollen, ſie habe ſich bereit ge¬
macht, nach Faſchwitz in die Kirche zu gehen und ſei
nur eben noch ein wenig eingenickt, ſich auf den lan¬
gen, langen Weg vorzubereiten.

„Biſt Du es, Junker!“ ſagte ſie mit zitternder
Stimme, und ſie hob das Haupt mit dem ſchnee¬
weißen Haar empor und blickte nach der Thür. „Tritt
näher — ganz nahe, daß ich Dich mit der Hand be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0122" n="112"/>
ob &#x017F;ich etwas im Hau&#x017F;e rege. Er hörte nichts, als<lb/>
das Ticken der großen Schwarzwälder-Uhr aus der<lb/>
Stube Jochen's, und von der Dorf&#x017F;traße her das<lb/>
Lachen von ein paar Kindern &#x2014; Mutter Clau&#x017F;en's<lb/>
kleinen Pflegekindern &#x2014; die &#x017F;ich in der Abend&#x017F;onne<lb/>
im Sande balgten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jetzt nur um Himmelswillen keine mitleidige<lb/>
Seele bei der Kranken in der Stube,&#x201C; murmelte<lb/>
Albert, lei&#x017F;e die Thür, die zu dem Stübchen der Alten<lb/>
führte, aufdrückend.</p><lb/>
        <p>Er trat auf den Fuß&#x017F;pitzen ein. Es dunkelte &#x017F;chon<lb/>
in dem niedrigen engen Raum. Albert's er&#x017F;ter Blick<lb/>
fiel auf die große Lade, die noch wie damals in der<lb/>
Ecke &#x017F;tand; &#x017F;ein zweiter auf die Ge&#x017F;talt der Alten.<lb/>
Sie &#x017F;aß auf dem großen Lehn&#x017F;tuhle, &#x201E;in welchem<lb/>
Baron Oscar ge&#x017F;torben war.&#x201C; Sie hatte ihren Sonn¬<lb/>
tags&#x017F;taat angelegt; ihr Eichen&#x017F;tock lehnte neben ihr<lb/>
&#x2014; man hätte glauben &#x017F;ollen, &#x017F;ie habe &#x017F;ich bereit ge¬<lb/>
macht, nach Fa&#x017F;chwitz in die Kirche zu gehen und &#x017F;ei<lb/>
nur eben noch ein wenig eingenickt, &#x017F;ich auf den lan¬<lb/>
gen, langen Weg vorzubereiten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bi&#x017F;t Du es, Junker!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie mit zitternder<lb/>
Stimme, und &#x017F;ie hob das Haupt mit dem &#x017F;chnee¬<lb/>
weißen Haar empor und blickte nach der Thür. &#x201E;Tritt<lb/>
näher &#x2014; ganz nahe, daß ich Dich mit der Hand be¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0122] ob ſich etwas im Hauſe rege. Er hörte nichts, als das Ticken der großen Schwarzwälder-Uhr aus der Stube Jochen's, und von der Dorfſtraße her das Lachen von ein paar Kindern — Mutter Clauſen's kleinen Pflegekindern — die ſich in der Abendſonne im Sande balgten. „Jetzt nur um Himmelswillen keine mitleidige Seele bei der Kranken in der Stube,“ murmelte Albert, leiſe die Thür, die zu dem Stübchen der Alten führte, aufdrückend. Er trat auf den Fußſpitzen ein. Es dunkelte ſchon in dem niedrigen engen Raum. Albert's erſter Blick fiel auf die große Lade, die noch wie damals in der Ecke ſtand; ſein zweiter auf die Geſtalt der Alten. Sie ſaß auf dem großen Lehnſtuhle, „in welchem Baron Oscar geſtorben war.“ Sie hatte ihren Sonn¬ tagsſtaat angelegt; ihr Eichenſtock lehnte neben ihr — man hätte glauben ſollen, ſie habe ſich bereit ge¬ macht, nach Faſchwitz in die Kirche zu gehen und ſei nur eben noch ein wenig eingenickt, ſich auf den lan¬ gen, langen Weg vorzubereiten. „Biſt Du es, Junker!“ ſagte ſie mit zitternder Stimme, und ſie hob das Haupt mit dem ſchnee¬ weißen Haar empor und blickte nach der Thür. „Tritt näher — ganz nahe, daß ich Dich mit der Hand be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/122
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/122>, abgerufen am 22.12.2024.