Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

sich, unten auf dem Schloßhofe angekommen, auf den
Rand des Brunnens der Najade, und überlegte, den
Groschen in der Hand herumdrehend, ob er sich jetzt
gleich die ganze Welt, oder vorläufig nur einen Stieg¬
litz kaufen sollte, den ihm ein anderer Bauerknabe
heute Morgen zum Verkauf angeboten hatte?

Er mochte wol eine Viertelstunde da gesessen haben,
bis er zuletzt, vom vielen Umherlaufen ermüdet, ein¬
nickte. So fand ihn Oswald, der von einem ein¬
samen Spaziergange zurückkehrte. Da das Bild des
auf dem Rande des Brunnens schlafenden zerlumpten
Knaben ihn interessirte, trat er näher. Der Knabe
fuhr in die Höhe und rieb sich verwundert die Augen.

"Wie kommst Du hierher, Kleiner?" fragte Oswald.

"Mutter Clausen hat mich herschickt!" sagte jener,
der in diesem Augenblick nicht wußte, ob er seine Be¬
stellung schon ausgerichtet hatte, oder nicht.

"Was ist mit Mutter Clausen?" fragte Oswald,
der sofort ahnte, es müßte seiner alten Freundin etwas
zugestoßen sein.

"Mutter Clausen hat mich herschickt," wiederholte
der Knabe; "sie liegt auf den Tod, und läßt dem
Herrn Candidaten sagen, er möchte --"

Mehr hörte Oswald nicht. -- Die gute, alte Frau,
an der er im Anfang so lebhaftes Interesse nahm

ſich, unten auf dem Schloßhofe angekommen, auf den
Rand des Brunnens der Najade, und überlegte, den
Groſchen in der Hand herumdrehend, ob er ſich jetzt
gleich die ganze Welt, oder vorläufig nur einen Stieg¬
litz kaufen ſollte, den ihm ein anderer Bauerknabe
heute Morgen zum Verkauf angeboten hatte?

Er mochte wol eine Viertelſtunde da geſeſſen haben,
bis er zuletzt, vom vielen Umherlaufen ermüdet, ein¬
nickte. So fand ihn Oswald, der von einem ein¬
ſamen Spaziergange zurückkehrte. Da das Bild des
auf dem Rande des Brunnens ſchlafenden zerlumpten
Knaben ihn intereſſirte, trat er näher. Der Knabe
fuhr in die Höhe und rieb ſich verwundert die Augen.

„Wie kommſt Du hierher, Kleiner?“ fragte Oswald.

„Mutter Clauſen hat mich herſchickt!“ ſagte jener,
der in dieſem Augenblick nicht wußte, ob er ſeine Be¬
ſtellung ſchon ausgerichtet hatte, oder nicht.

„Was iſt mit Mutter Clauſen?“ fragte Oswald,
der ſofort ahnte, es müßte ſeiner alten Freundin etwas
zugeſtoßen ſein.

„Mutter Clauſen hat mich herſchickt,“ wiederholte
der Knabe; „ſie liegt auf den Tod, und läßt dem
Herrn Candidaten ſagen, er möchte —“

Mehr hörte Oswald nicht. — Die gute, alte Frau,
an der er im Anfang ſo lebhaftes Intereſſe nahm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0120" n="110"/>
&#x017F;ich, unten auf dem Schloßhofe angekommen, auf den<lb/>
Rand des Brunnens der Najade, und überlegte, den<lb/>
Gro&#x017F;chen in der Hand herumdrehend, ob er &#x017F;ich jetzt<lb/>
gleich die ganze Welt, oder vorläufig nur einen Stieg¬<lb/>
litz kaufen &#x017F;ollte, den ihm ein anderer Bauerknabe<lb/>
heute Morgen zum Verkauf angeboten hatte?</p><lb/>
        <p>Er mochte wol eine Viertel&#x017F;tunde da ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en haben,<lb/>
bis er zuletzt, vom vielen Umherlaufen ermüdet, ein¬<lb/>
nickte. So fand ihn Oswald, der von einem ein¬<lb/>
&#x017F;amen Spaziergange zurückkehrte. Da das Bild des<lb/>
auf dem Rande des Brunnens &#x017F;chlafenden zerlumpten<lb/>
Knaben ihn intere&#x017F;&#x017F;irte, trat er näher. Der Knabe<lb/>
fuhr in die Höhe und rieb &#x017F;ich verwundert die Augen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie komm&#x017F;t Du hierher, Kleiner?&#x201C; fragte Oswald.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mutter Clau&#x017F;en hat mich her&#x017F;chickt!&#x201C; &#x017F;agte jener,<lb/>
der in die&#x017F;em Augenblick nicht wußte, ob er &#x017F;eine Be¬<lb/>
&#x017F;tellung &#x017F;chon ausgerichtet hatte, oder nicht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was i&#x017F;t mit Mutter Clau&#x017F;en?&#x201C; fragte Oswald,<lb/>
der &#x017F;ofort ahnte, es müßte &#x017F;einer alten Freundin etwas<lb/>
zuge&#x017F;toßen &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mutter <choice><sic>Clau&#x017F;eu</sic><corr>Clau&#x017F;en</corr></choice> hat mich her&#x017F;chickt,&#x201C; wiederholte<lb/>
der Knabe; &#x201E;&#x017F;ie liegt auf den Tod, und läßt dem<lb/>
Herrn Candidaten &#x017F;agen, er möchte &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mehr hörte Oswald nicht. &#x2014; Die gute, alte Frau,<lb/>
an der er im Anfang &#x017F;o lebhaftes Intere&#x017F;&#x017F;e nahm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0120] ſich, unten auf dem Schloßhofe angekommen, auf den Rand des Brunnens der Najade, und überlegte, den Groſchen in der Hand herumdrehend, ob er ſich jetzt gleich die ganze Welt, oder vorläufig nur einen Stieg¬ litz kaufen ſollte, den ihm ein anderer Bauerknabe heute Morgen zum Verkauf angeboten hatte? Er mochte wol eine Viertelſtunde da geſeſſen haben, bis er zuletzt, vom vielen Umherlaufen ermüdet, ein¬ nickte. So fand ihn Oswald, der von einem ein¬ ſamen Spaziergange zurückkehrte. Da das Bild des auf dem Rande des Brunnens ſchlafenden zerlumpten Knaben ihn intereſſirte, trat er näher. Der Knabe fuhr in die Höhe und rieb ſich verwundert die Augen. „Wie kommſt Du hierher, Kleiner?“ fragte Oswald. „Mutter Clauſen hat mich herſchickt!“ ſagte jener, der in dieſem Augenblick nicht wußte, ob er ſeine Be¬ ſtellung ſchon ausgerichtet hatte, oder nicht. „Was iſt mit Mutter Clauſen?“ fragte Oswald, der ſofort ahnte, es müßte ſeiner alten Freundin etwas zugeſtoßen ſein. „Mutter Clauſen hat mich herſchickt,“ wiederholte der Knabe; „ſie liegt auf den Tod, und läßt dem Herrn Candidaten ſagen, er möchte —“ Mehr hörte Oswald nicht. — Die gute, alte Frau, an der er im Anfang ſo lebhaftes Intereſſe nahm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/120
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/120>, abgerufen am 22.12.2024.