Wald umhergeirrt, und nur eben erst auf das Zigeu¬ nerlager gestoßen zu sein. "Woher hat denn das Mäd¬ chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich noch an Ihnen bewunderten?" fragte Georgina. -- Sie hat sie mir gestohlen, während ich, von meiner Wanderung ermüdet, schlief; rief ich. -- So nehmen sie ihr die Kette wieder ab. -- Ich hätte Georgina ermorden können, aber ich hatte mich zu fest in meine freche Lüge verstrickt; Widerruf schien unmöglich. Xenobi kam mir zuvor. -- Hier, Herr! sagte sie, nimm, was ich Dir gestohlen habe; und sie reichte mir das Geschmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von Schmerz und Zorn entstellte Gesicht des armen Geschöpfes nie vergessen. -- -- -- Machen wir, daß wir nach Hause kommen! rief Herr von Cry¬ vani; es zieht ein Wetter herauf. -- Ich bestieg das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte mir die Gunst der Dame vollständig wieder erobert, aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬ genden Tages -- früher konnte ich mich nicht von der Gesellschaft losmachen -- in den Wald gerannt war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich
Wald umhergeirrt, und nur eben erſt auf das Zigeu¬ nerlager geſtoßen zu ſein. „Woher hat denn das Mäd¬ chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich noch an Ihnen bewunderten?“ fragte Georgina. — Sie hat ſie mir geſtohlen, während ich, von meiner Wanderung ermüdet, ſchlief; rief ich. — So nehmen ſie ihr die Kette wieder ab. — Ich hätte Georgina ermorden können, aber ich hatte mich zu feſt in meine freche Lüge verſtrickt; Widerruf ſchien unmöglich. Xenobi kam mir zuvor. — Hier, Herr! ſagte ſie, nimm, was ich Dir geſtohlen habe; und ſie reichte mir das Geſchmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von Schmerz und Zorn entſtellte Geſicht des armen Geſchöpfes nie vergeſſen. — — — Machen wir, daß wir nach Hauſe kommen! rief Herr von Cry¬ vani; es zieht ein Wetter herauf. — Ich beſtieg das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte mir die Gunſt der Dame vollſtändig wieder erobert, aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬ genden Tages — früher konnte ich mich nicht von der Geſellſchaft losmachen — in den Wald gerannt war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich
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Wald umhergeirrt, und nur eben erſt auf das Zigeu¬
nerlager geſtoßen zu ſein. „Woher hat denn das Mäd¬
chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich
noch an Ihnen bewunderten?“ fragte Georgina. —
Sie hat ſie mir geſtohlen, während ich, von meiner
Wanderung ermüdet, ſchlief; rief ich. — So nehmen
ſie ihr die Kette wieder ab. — Ich hätte Georgina
ermorden können, aber ich hatte mich zu feſt in meine
freche Lüge verſtrickt; Widerruf ſchien unmöglich.
Xenobi kam mir zuvor. — Hier, Herr! ſagte ſie, nimm,
was ich Dir geſtohlen habe; und ſie reichte mir das
Geſchmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von
Schmerz und Zorn entſtellte Geſicht des armen
Geſchöpfes nie vergeſſen. — — — Machen wir,
daß wir nach Hauſe kommen! rief Herr von Cry¬
vani; es zieht ein Wetter herauf. — Ich beſtieg
das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es
durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich
nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite
ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte
mir die Gunſt der Dame vollſtändig wieder erobert,
aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬
genden Tages — früher konnte ich mich nicht von
der Geſellſchaft losmachen — in den Wald gerannt
war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/103>, abgerufen am 22.12.2024.
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