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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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war, als er anstatt eines farbetrunkenen italienischen
Gemäldes in einer Nische eine Büste aus keuschem
weißen Marmor erblickte, die, obgleich in antikem
Haarschmuck und ein wenig idealisirt, nichts war, als
ein sprechend ähnliches Porträt Melitta's. Das war
ihr reiches, welliges Haar, das war ihre schöne zarte
Stirn, die feine gerade Nase, das waren die weichen,
selbst noch im Marmor thaufrischen Lippen!

Ehe sich Oswald von seinem Erstaunen, der Ge¬
liebten sich so plötzlich gegenüber zu sehen, nur so
weit erholen konnte, den Vorhang wieder über das
Bild zu ziehen, trat der Baron in das Zimmer.

"Entschuldigen Sie meine Indiscretion," sagte
Oswald, sich schnell fassend; "aber wer heißt Sie
auch, verschleierte Bilder in einem Sanctuarium auf¬
stellen, zu dem Sie jedem Fremden den Zutritt ge¬
währen."

"Sie haben Recht," sagte der Baron, ohne eine
Spur von Verwirrung; dieser grüne Schleier ist, wie
andere Schleier auch, geradezu provocirend, und neben¬
bei ist es sehr thöricht, die Copie zu verschleiern, da
Jedermann das Original unverschleiert sehen kann,
wenn er sich die Mühe giebt, nach Palermo zu reisen,
und sich eine Erlaubniß verschafft, die Villa Serra
di Falco besuchen zu dürfen."

war, als er anſtatt eines farbetrunkenen italieniſchen
Gemäldes in einer Niſche eine Büſte aus keuſchem
weißen Marmor erblickte, die, obgleich in antikem
Haarſchmuck und ein wenig idealiſirt, nichts war, als
ein ſprechend ähnliches Porträt Melitta's. Das war
ihr reiches, welliges Haar, das war ihre ſchöne zarte
Stirn, die feine gerade Naſe, das waren die weichen,
ſelbſt noch im Marmor thaufriſchen Lippen!

Ehe ſich Oswald von ſeinem Erſtaunen, der Ge¬
liebten ſich ſo plötzlich gegenüber zu ſehen, nur ſo
weit erholen konnte, den Vorhang wieder über das
Bild zu ziehen, trat der Baron in das Zimmer.

„Entſchuldigen Sie meine Indiscretion,“ ſagte
Oswald, ſich ſchnell faſſend; „aber wer heißt Sie
auch, verſchleierte Bilder in einem Sanctuarium auf¬
ſtellen, zu dem Sie jedem Fremden den Zutritt ge¬
währen.“

„Sie haben Recht,“ ſagte der Baron, ohne eine
Spur von Verwirrung; dieſer grüne Schleier iſt, wie
andere Schleier auch, geradezu provocirend, und neben¬
bei iſt es ſehr thöricht, die Copie zu verſchleiern, da
Jedermann das Original unverſchleiert ſehen kann,
wenn er ſich die Mühe giebt, nach Palermo zu reiſen,
und ſich eine Erlaubniß verſchafft, die Villa Serra
di Falco beſuchen zu dürfen.“

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[41/0051] war, als er anſtatt eines farbetrunkenen italieniſchen Gemäldes in einer Niſche eine Büſte aus keuſchem weißen Marmor erblickte, die, obgleich in antikem Haarſchmuck und ein wenig idealiſirt, nichts war, als ein ſprechend ähnliches Porträt Melitta's. Das war ihr reiches, welliges Haar, das war ihre ſchöne zarte Stirn, die feine gerade Naſe, das waren die weichen, ſelbſt noch im Marmor thaufriſchen Lippen! Ehe ſich Oswald von ſeinem Erſtaunen, der Ge¬ liebten ſich ſo plötzlich gegenüber zu ſehen, nur ſo weit erholen konnte, den Vorhang wieder über das Bild zu ziehen, trat der Baron in das Zimmer. „Entſchuldigen Sie meine Indiscretion,“ ſagte Oswald, ſich ſchnell faſſend; „aber wer heißt Sie auch, verſchleierte Bilder in einem Sanctuarium auf¬ ſtellen, zu dem Sie jedem Fremden den Zutritt ge¬ währen.“ „Sie haben Recht,“ ſagte der Baron, ohne eine Spur von Verwirrung; dieſer grüne Schleier iſt, wie andere Schleier auch, geradezu provocirend, und neben¬ bei iſt es ſehr thöricht, die Copie zu verſchleiern, da Jedermann das Original unverſchleiert ſehen kann, wenn er ſich die Mühe giebt, nach Palermo zu reiſen, und ſich eine Erlaubniß verſchafft, die Villa Serra di Falco beſuchen zu dürfen.“

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/51>, abgerufen am 22.11.2024.