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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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sich zur Noth denken, wenn man es nicht aus der
langen Geschichte der alten Hexe, der guten Freundin
meines ausgezeichneten Freundes Stein, wüßte. Ich
glaube, die Alte könnte noch mehr erzählen, wenn sie
wollte. Ich muß mir Ihre Gunst zu erwerben suchen
und mir freien Zutritt in ihre Salons verschaffen.
Sollte sie nicht noch Manches aus dem Nachlasse von
Fräulein Unschuld in ihrem Besitz haben, das zu
weiteren Entdeckungen führen könnte? Die Kleine hat
jedenfalls bei der eiligen nächtlichen Flucht ihre Kisten
und Kasten nicht zu sorgfältig ausgekramt, und die
Alte eine gute Nachlese an Bändern, Strümpfen,
Schuhen und warum nicht auch Briefen? gehalten.
Das Alles mag in sicherer Ruhe in der großen, höl¬
zernen Lade, auf der ich mir an jenem Nachmittage
die Rippen wund gelegen habe, seiner Auferstehung
entgegensehen. Das ist ein Gedanke!"

Albert war aufgesprungen und hatte sich vor den
Spiegel gestellt, wahrscheinlich um zu sehen, wie sich
ein so geistreicher Kopf denn eigentlich ausnehme.
"Das ist ein Gedanke," und er warf seinem Spie¬
gelbilde eine Kußhand zu, welche dieses in Anbetracht
der Vortrefflichkeit des Originals freundlich erwiederte
-- "ein ganz famoser Gedanke, den ich ausführen
muß, es koste, was es wolle. Vielleicht war der

ſich zur Noth denken, wenn man es nicht aus der
langen Geſchichte der alten Hexe, der guten Freundin
meines ausgezeichneten Freundes Stein, wüßte. Ich
glaube, die Alte könnte noch mehr erzählen, wenn ſie
wollte. Ich muß mir Ihre Gunſt zu erwerben ſuchen
und mir freien Zutritt in ihre Salons verſchaffen.
Sollte ſie nicht noch Manches aus dem Nachlaſſe von
Fräulein Unſchuld in ihrem Beſitz haben, das zu
weiteren Entdeckungen führen könnte? Die Kleine hat
jedenfalls bei der eiligen nächtlichen Flucht ihre Kiſten
und Kaſten nicht zu ſorgfältig ausgekramt, und die
Alte eine gute Nachleſe an Bändern, Strümpfen,
Schuhen und warum nicht auch Briefen? gehalten.
Das Alles mag in ſicherer Ruhe in der großen, höl¬
zernen Lade, auf der ich mir an jenem Nachmittage
die Rippen wund gelegen habe, ſeiner Auferſtehung
entgegenſehen. Das iſt ein Gedanke!“

Albert war aufgeſprungen und hatte ſich vor den
Spiegel geſtellt, wahrſcheinlich um zu ſehen, wie ſich
ein ſo geiſtreicher Kopf denn eigentlich ausnehme.
„Das iſt ein Gedanke,“ und er warf ſeinem Spie¬
gelbilde eine Kußhand zu, welche dieſes in Anbetracht
der Vortrefflichkeit des Originals freundlich erwiederte
— „ein ganz famoſer Gedanke, den ich ausführen
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[233/0243] ſich zur Noth denken, wenn man es nicht aus der langen Geſchichte der alten Hexe, der guten Freundin meines ausgezeichneten Freundes Stein, wüßte. Ich glaube, die Alte könnte noch mehr erzählen, wenn ſie wollte. Ich muß mir Ihre Gunſt zu erwerben ſuchen und mir freien Zutritt in ihre Salons verſchaffen. Sollte ſie nicht noch Manches aus dem Nachlaſſe von Fräulein Unſchuld in ihrem Beſitz haben, das zu weiteren Entdeckungen führen könnte? Die Kleine hat jedenfalls bei der eiligen nächtlichen Flucht ihre Kiſten und Kaſten nicht zu ſorgfältig ausgekramt, und die Alte eine gute Nachleſe an Bändern, Strümpfen, Schuhen und warum nicht auch Briefen? gehalten. Das Alles mag in ſicherer Ruhe in der großen, höl¬ zernen Lade, auf der ich mir an jenem Nachmittage die Rippen wund gelegen habe, ſeiner Auferſtehung entgegenſehen. Das iſt ein Gedanke!“ Albert war aufgeſprungen und hatte ſich vor den Spiegel geſtellt, wahrſcheinlich um zu ſehen, wie ſich ein ſo geiſtreicher Kopf denn eigentlich ausnehme. „Das iſt ein Gedanke,“ und er warf ſeinem Spie¬ gelbilde eine Kußhand zu, welche dieſes in Anbetracht der Vortrefflichkeit des Originals freundlich erwiederte — „ein ganz famoſer Gedanke, den ich ausführen muß, es koſte, was es wolle. Vielleicht war der

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/243>, abgerufen am 25.11.2024.