wie eine Mutter liebe, von dem Manne, der mir Vater und Bruder gewesen ist, fortschleichen soll. Und doch -- es geht nicht anders. Du hast recht: sie würden mir den Abschied nur noch schwerer machen; sie würden das Ganze ein romantisches Abenteuer schelten. Sie kennen Dich ja nicht, Sie wissen ja nicht, wie treu und gut Du bist. Aber Lebewohl darf ich ihnen doch wenigstens schriftlich sagen! ihnen in ein paar Worten für alle Güte und Liebe danken und sie über den Schmerz, den ich ihnen jetzt bereiten muß, auf eine fröhliche Zukunft vertrösten. Ach, wäre diese Zukunft doch erst Gegenwart! Ihr neuer Kammerdiener, der mir übrigens viel weniger ge¬ fällt, als der alte mit dem treuen, ehrlichen Gesicht, meldete mir gestern Abend, daß alle Vorbereitungen auf übermorgen früh getroffen seien. Es ist mir lieb, daß ich in Ihrer Equipage und in Begleitung Ihrer Leute fahren soll; der Gedanke einer so weiten Reise hat so viel weniger Peinliches für mich. Auf bal¬ diges, köstliches Wiedersehen, Du Vielgeliebter! M. M.
"Nun ist das Vögelchen in's Garn gegangen," sagte Albert, diesen Brief, den letzten, zu den andern legend, und alle wieder sorgfältig mit dem rothseidenen Bande zusammenbindend; "das Uebrige könnte man
wie eine Mutter liebe, von dem Manne, der mir Vater und Bruder geweſen iſt, fortſchleichen ſoll. Und doch — es geht nicht anders. Du haſt recht: ſie würden mir den Abſchied nur noch ſchwerer machen; ſie würden das Ganze ein romantiſches Abenteuer ſchelten. Sie kennen Dich ja nicht, Sie wiſſen ja nicht, wie treu und gut Du biſt. Aber Lebewohl darf ich ihnen doch wenigſtens ſchriftlich ſagen! ihnen in ein paar Worten für alle Güte und Liebe danken und ſie über den Schmerz, den ich ihnen jetzt bereiten muß, auf eine fröhliche Zukunft vertröſten. Ach, wäre dieſe Zukunft doch erſt Gegenwart! Ihr neuer Kammerdiener, der mir übrigens viel weniger ge¬ fällt, als der alte mit dem treuen, ehrlichen Geſicht, meldete mir geſtern Abend, daß alle Vorbereitungen auf übermorgen früh getroffen ſeien. Es iſt mir lieb, daß ich in Ihrer Equipage und in Begleitung Ihrer Leute fahren ſoll; der Gedanke einer ſo weiten Reiſe hat ſo viel weniger Peinliches für mich. Auf bal¬ diges, köſtliches Wiederſehen, Du Vielgeliebter! M. M.
„Nun iſt das Vögelchen in's Garn gegangen,“ ſagte Albert, dieſen Brief, den letzten, zu den andern legend, und alle wieder ſorgfältig mit dem rothſeidenen Bande zuſammenbindend; „das Uebrige könnte man
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wie eine Mutter liebe, von dem Manne, der mir
Vater und Bruder geweſen iſt, fortſchleichen ſoll.
Und doch — es geht nicht anders. Du haſt recht:
ſie würden mir den Abſchied nur noch ſchwerer machen;
ſie würden das Ganze ein romantiſches Abenteuer
ſchelten. Sie kennen Dich ja nicht, Sie wiſſen ja
nicht, wie treu und gut Du biſt. Aber Lebewohl darf
ich ihnen doch wenigſtens ſchriftlich ſagen! ihnen in
ein paar Worten für alle Güte und Liebe danken und
ſie über den Schmerz, den ich ihnen jetzt bereiten
muß, auf eine fröhliche Zukunft vertröſten. Ach,
wäre dieſe Zukunft doch erſt Gegenwart! Ihr neuer
Kammerdiener, der mir übrigens viel weniger ge¬
fällt, als der alte mit dem treuen, ehrlichen Geſicht,
meldete mir geſtern Abend, daß alle Vorbereitungen
auf übermorgen früh getroffen ſeien. Es iſt mir lieb,
daß ich in Ihrer Equipage und in Begleitung Ihrer
Leute fahren ſoll; der Gedanke einer ſo weiten Reiſe
hat ſo viel weniger Peinliches für mich. Auf bal¬
diges, köſtliches Wiederſehen, Du Vielgeliebter! M. M.
„Nun iſt das Vögelchen in's Garn gegangen,“
ſagte Albert, dieſen Brief, den letzten, zu den andern
legend, und alle wieder ſorgfältig mit dem rothſeidenen
Bande zuſammenbindend; „das Uebrige könnte man
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/242>, abgerufen am 16.02.2025.
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