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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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"Ein wunderlicher Mensch, dieser Stein; sagte die
Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬
liches. Es ist schlechterdings unmöglich, aus ihm
klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe
Helene?"

"Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber
nachgedacht: und bei solchen Leuten kann eigentlich
doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede sein.
Ich dächte, sie wären sich alle gleich oder wenigstens
sind die Unterschiede so gering, daß man sie nicht
wohl bemerken kann; -- der Eine heißt Stein, der
Andere Timm -- das ist doch im Grunde Alles."

"Du hast recht, liebe Tochter," sagte die Baronin.
"Diese Leute sind Statisten, man sieht sie nur, wenn
die handelnden Personen einmal abgetreten sind.
Glücklicherweise kann ich Dir in allernächster Zukunft
eine andere und bessere Gesellschaft versprechen."

"Und die wäre?"

"Dein Cousin Felix. Ich erhielt soeben einen
Brief von ihm -- der Postbote ist noch draußen in
der Küche, Du kannst ihm einen Brief mitgeben,
wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg
schreiben willst -- er meldet uns seinen Besuch auf
morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht
Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache

„Ein wunderlicher Menſch, dieſer Stein; ſagte die
Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬
liches. Es iſt ſchlechterdings unmöglich, aus ihm
klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe
Helene?“

„Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber
nachgedacht: und bei ſolchen Leuten kann eigentlich
doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede ſein.
Ich dächte, ſie wären ſich alle gleich oder wenigſtens
ſind die Unterſchiede ſo gering, daß man ſie nicht
wohl bemerken kann; — der Eine heißt Stein, der
Andere Timm — das iſt doch im Grunde Alles.“

„Du haſt recht, liebe Tochter,“ ſagte die Baronin.
„Dieſe Leute ſind Statiſten, man ſieht ſie nur, wenn
die handelnden Perſonen einmal abgetreten ſind.
Glücklicherweiſe kann ich Dir in allernächſter Zukunft
eine andere und beſſere Geſellſchaft verſprechen.“

„Und die wäre?“

„Dein Couſin Felix. Ich erhielt ſoeben einen
Brief von ihm — der Poſtbote iſt noch draußen in
der Küche, Du kannſt ihm einen Brief mitgeben,
wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg
ſchreiben willſt — er meldet uns ſeinen Beſuch auf
morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht
Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache

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[212/0222] „Ein wunderlicher Menſch, dieſer Stein; ſagte die Baronin. Er hat für mich geradezu etwas Unheim¬ liches. Es iſt ſchlechterdings unmöglich, aus ihm klug zu werden. Wie gefällt er denn Dir, liebe Helene?“ „Aber, Mama, ich habe wirklich noch nicht darüber nachgedacht: und bei ſolchen Leuten kann eigentlich doch von Gefallen oder Misfallen kaum die Rede ſein. Ich dächte, ſie wären ſich alle gleich oder wenigſtens ſind die Unterſchiede ſo gering, daß man ſie nicht wohl bemerken kann; — der Eine heißt Stein, der Andere Timm — das iſt doch im Grunde Alles.“ „Du haſt recht, liebe Tochter,“ ſagte die Baronin. „Dieſe Leute ſind Statiſten, man ſieht ſie nur, wenn die handelnden Perſonen einmal abgetreten ſind. Glücklicherweiſe kann ich Dir in allernächſter Zukunft eine andere und beſſere Geſellſchaft verſprechen.“ „Und die wäre?“ „Dein Couſin Felix. Ich erhielt ſoeben einen Brief von ihm — der Poſtbote iſt noch draußen in der Küche, Du kannſt ihm einen Brief mitgeben, wenn Du vielleicht ein paar Zeilen nach Hamburg ſchreiben willſt — er meldet uns ſeinen Beſuch auf morgen oder übermorgen an. Aber war das nicht Deines Vaters Stimme? Adieu, liebes Kind; mache

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/222>, abgerufen am 24.11.2024.