welchen aus Ihren Spatzenköpfen zu verlieren haben. Und nun, meine Herren, machen Sie Ihre dummen Hefte zu, damit das abscheuliche Kritzeln endlich ein¬ mal aufhört und stimmen Sie mit mir in das tief¬ sinnige und erhebende Lied ein: "O, da sitzt ne Flieg' an der Wand!" Berger habe darauf mit lauter Stimme und das Katheder mit den Fäusten bearbeitend ange¬ fangen, zu singen, sei dann in dem Auditorium an den Wänden entlang gelaufen, nach imaginären Fliegen haschend, habe dann jedesmal die Hand geöffnet, hin¬ eingeschaut, und triumphirend gerufen: Nichts meine Herren, sehen Sie, nichts und wieder nichts!
Der Bekannte schloß den Brief mit der Mitthei¬ lung, daß Professor Berger sogleich am folgenden Tage auf den Rath seiner Aerzte nach R. in die be¬ rühmte Heilanstalt des Dr. Birkenhain transportirt sei; er habe Alles gutwillig mit sich geschehen lassen, nachdem man ihm vorgeredet: man wolle ihm das große Ur-Nichts zeigen . . .
Oswald war durch den Inhalt dieses Briefes tief erschüttert. Er hatte in Berger seinen Freund und Lehrer geliebt und geehrt; er hatte sich des wunder¬ lichen Mannes Liebe in hohem Grade erworben; er hatte tiefere Blicke, als wol irgend Jemand sonst, in diesen unendlich reichen Geist gethan. Wie oft hatte
welchen aus Ihren Spatzenköpfen zu verlieren haben. Und nun, meine Herren, machen Sie Ihre dummen Hefte zu, damit das abſcheuliche Kritzeln endlich ein¬ mal aufhört und ſtimmen Sie mit mir in das tief¬ ſinnige und erhebende Lied ein: „O, da ſitzt ne Flieg' an der Wand!“ Berger habe darauf mit lauter Stimme und das Katheder mit den Fäuſten bearbeitend ange¬ fangen, zu ſingen, ſei dann in dem Auditorium an den Wänden entlang gelaufen, nach imaginären Fliegen haſchend, habe dann jedesmal die Hand geöffnet, hin¬ eingeſchaut, und triumphirend gerufen: Nichts meine Herren, ſehen Sie, nichts und wieder nichts!
Der Bekannte ſchloß den Brief mit der Mitthei¬ lung, daß Profeſſor Berger ſogleich am folgenden Tage auf den Rath ſeiner Aerzte nach R. in die be¬ rühmte Heilanſtalt des Dr. Birkenhain transportirt ſei; er habe Alles gutwillig mit ſich geſchehen laſſen, nachdem man ihm vorgeredet: man wolle ihm das große Ur-Nichts zeigen . . .
Oswald war durch den Inhalt dieſes Briefes tief erſchüttert. Er hatte in Berger ſeinen Freund und Lehrer geliebt und geehrt; er hatte ſich des wunder¬ lichen Mannes Liebe in hohem Grade erworben; er hatte tiefere Blicke, als wol irgend Jemand ſonſt, in dieſen unendlich reichen Geiſt gethan. Wie oft hatte
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[203/0213]
welchen aus Ihren Spatzenköpfen zu verlieren haben.
Und nun, meine Herren, machen Sie Ihre dummen
Hefte zu, damit das abſcheuliche Kritzeln endlich ein¬
mal aufhört und ſtimmen Sie mit mir in das tief¬
ſinnige und erhebende Lied ein: „O, da ſitzt ne Flieg'
an der Wand!“ Berger habe darauf mit lauter Stimme
und das Katheder mit den Fäuſten bearbeitend ange¬
fangen, zu ſingen, ſei dann in dem Auditorium an den
Wänden entlang gelaufen, nach imaginären Fliegen
haſchend, habe dann jedesmal die Hand geöffnet, hin¬
eingeſchaut, und triumphirend gerufen: Nichts meine
Herren, ſehen Sie, nichts und wieder nichts!
Der Bekannte ſchloß den Brief mit der Mitthei¬
lung, daß Profeſſor Berger ſogleich am folgenden
Tage auf den Rath ſeiner Aerzte nach R. in die be¬
rühmte Heilanſtalt des Dr. Birkenhain transportirt
ſei; er habe Alles gutwillig mit ſich geſchehen laſſen,
nachdem man ihm vorgeredet: man wolle ihm das
große Ur-Nichts zeigen . . .
Oswald war durch den Inhalt dieſes Briefes tief
erſchüttert. Er hatte in Berger ſeinen Freund und
Lehrer geliebt und geehrt; er hatte ſich des wunder¬
lichen Mannes Liebe in hohem Grade erworben; er
hatte tiefere Blicke, als wol irgend Jemand ſonſt, in
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/213>, abgerufen am 16.02.2025.
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