Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Rede begonnen, verworren und immer verwor¬
rener zu werden, so daß ein Student nach dem an¬
dern die Feder niedergelegt und den Nachbar voll
Verwunderung und Schrecken angestarrt habe. "Wissen
Sie, meine Heren, habe Berger gerufen, was der
Jüngling von Sais erblickte, als er den Schleier hob,
der das große Geheimniß barg, -- das große Geheim¬
niß, welches der Schlüssel sein sollte zu den verwor¬
renen Räthseln des Lebens? Sehen Sie, meine Her¬
ren, hier nehme ich meinen Kopf auseinander, die
eine Hälfte in diese, die andere in jene Hand -- was
erblicken Sie in dem Kopfe des berühmten Professor
Berger, zu dessen Füßen Sie sitzen, seinen weisen
Worten zu lauschen, und sie mit abscheulich kritzelnden
Federn in Ihre langweiligen Hefte zu schreiben? was
erblicken Sie? -- genau dasselbe, was der Jüngling
von Sais erblickte, als er den Schleier von der
Wahrheit hob: Nichts! absolut gar nichts, nichts für
sich, nichts an sich, an und für sich: nichts! und daß
dieses hohle, öde Nichts des Pudels Kern sei, daß
all unser bestes Streben nichts sei, wir unser Herz¬
blut an nichts und wieder nichts setzen, sehen Sie,
meine Herren, das hat den Jüngling von Sais toll
gemacht, das hat mich verrückt gemacht, und wird auch
Sie um den Verstand bringen, wenn Sie irgend¬

ſeine Rede begonnen, verworren und immer verwor¬
rener zu werden, ſo daß ein Student nach dem an¬
dern die Feder niedergelegt und den Nachbar voll
Verwunderung und Schrecken angeſtarrt habe. „Wiſſen
Sie, meine Heren, habe Berger gerufen, was der
Jüngling von Sais erblickte, als er den Schleier hob,
der das große Geheimniß barg, — das große Geheim¬
niß, welches der Schlüſſel ſein ſollte zu den verwor¬
renen Räthſeln des Lebens? Sehen Sie, meine Her¬
ren, hier nehme ich meinen Kopf auseinander, die
eine Hälfte in dieſe, die andere in jene Hand — was
erblicken Sie in dem Kopfe des berühmten Profeſſor
Berger, zu deſſen Füßen Sie ſitzen, ſeinen weiſen
Worten zu lauſchen, und ſie mit abſcheulich kritzelnden
Federn in Ihre langweiligen Hefte zu ſchreiben? was
erblicken Sie? — genau daſſelbe, was der Jüngling
von Sais erblickte, als er den Schleier von der
Wahrheit hob: Nichts! abſolut gar nichts, nichts für
ſich, nichts an ſich, an und für ſich: nichts! und daß
dieſes hohle, öde Nichts des Pudels Kern ſei, daß
all unſer beſtes Streben nichts ſei, wir unſer Herz¬
blut an nichts und wieder nichts ſetzen, ſehen Sie,
meine Herren, das hat den Jüngling von Sais toll
gemacht, das hat mich verrückt gemacht, und wird auch
Sie um den Verſtand bringen, wenn Sie irgend¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0212" n="202"/>
&#x017F;eine Rede begonnen, verworren und immer verwor¬<lb/>
rener zu werden, &#x017F;o daß ein Student nach dem an¬<lb/>
dern die Feder niedergelegt und den Nachbar voll<lb/>
Verwunderung und Schrecken ange&#x017F;tarrt habe. &#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie, meine Heren, habe Berger gerufen, was der<lb/>
Jüngling von Sais erblickte, als er den Schleier hob,<lb/>
der das große Geheimniß barg, &#x2014; das große Geheim¬<lb/>
niß, welches der Schlü&#x017F;&#x017F;el &#x017F;ein &#x017F;ollte zu den verwor¬<lb/>
renen Räth&#x017F;eln des Lebens? Sehen Sie, meine Her¬<lb/>
ren, hier nehme ich meinen Kopf auseinander, die<lb/>
eine Hälfte in die&#x017F;e, die andere in jene Hand &#x2014; was<lb/>
erblicken Sie in dem Kopfe des berühmten Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/>
Berger, zu de&#x017F;&#x017F;en Füßen Sie &#x017F;itzen, &#x017F;einen wei&#x017F;en<lb/>
Worten zu lau&#x017F;chen, und &#x017F;ie mit ab&#x017F;cheulich kritzelnden<lb/>
Federn in Ihre langweiligen Hefte zu &#x017F;chreiben? was<lb/>
erblicken Sie? &#x2014; genau da&#x017F;&#x017F;elbe, was der Jüngling<lb/>
von Sais erblickte, als er den Schleier von der<lb/>
Wahrheit hob: Nichts! ab&#x017F;olut gar nichts, nichts für<lb/>
&#x017F;ich, nichts an &#x017F;ich, an und für &#x017F;ich: nichts! und daß<lb/>
die&#x017F;es hohle, öde Nichts des Pudels Kern &#x017F;ei, daß<lb/>
all un&#x017F;er be&#x017F;tes Streben nichts &#x017F;ei, wir un&#x017F;er Herz¬<lb/>
blut an nichts und wieder nichts &#x017F;etzen, &#x017F;ehen Sie,<lb/>
meine Herren, das hat den Jüngling von Sais toll<lb/>
gemacht, das hat mich verrückt gemacht, und wird auch<lb/>
Sie um den Ver&#x017F;tand bringen, wenn Sie irgend¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0212] ſeine Rede begonnen, verworren und immer verwor¬ rener zu werden, ſo daß ein Student nach dem an¬ dern die Feder niedergelegt und den Nachbar voll Verwunderung und Schrecken angeſtarrt habe. „Wiſſen Sie, meine Heren, habe Berger gerufen, was der Jüngling von Sais erblickte, als er den Schleier hob, der das große Geheimniß barg, — das große Geheim¬ niß, welches der Schlüſſel ſein ſollte zu den verwor¬ renen Räthſeln des Lebens? Sehen Sie, meine Her¬ ren, hier nehme ich meinen Kopf auseinander, die eine Hälfte in dieſe, die andere in jene Hand — was erblicken Sie in dem Kopfe des berühmten Profeſſor Berger, zu deſſen Füßen Sie ſitzen, ſeinen weiſen Worten zu lauſchen, und ſie mit abſcheulich kritzelnden Federn in Ihre langweiligen Hefte zu ſchreiben? was erblicken Sie? — genau daſſelbe, was der Jüngling von Sais erblickte, als er den Schleier von der Wahrheit hob: Nichts! abſolut gar nichts, nichts für ſich, nichts an ſich, an und für ſich: nichts! und daß dieſes hohle, öde Nichts des Pudels Kern ſei, daß all unſer beſtes Streben nichts ſei, wir unſer Herz¬ blut an nichts und wieder nichts ſetzen, ſehen Sie, meine Herren, das hat den Jüngling von Sais toll gemacht, das hat mich verrückt gemacht, und wird auch Sie um den Verſtand bringen, wenn Sie irgend¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/212
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/212>, abgerufen am 28.11.2024.