Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.Glaube nicht, daß ich mich auf krummem Wege in "Oldenburg!" "Er ist kein Unwürdiger, aber -- ich bin Dein Glaube nicht, daß ich mich auf krummem Wege in „Oldenburg!“ „Er iſt kein Unwürdiger, aber — ich bin Dein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0207" n="197"/> Glaube nicht, daß ich mich auf krummem Wege in<lb/> Dein Geheimniß geſtohlen habe! Ich habe nur die<lb/> Augen nicht geſchloſſen, das iſt Alles. Oder glaubſt<lb/> Du, man lerne nicht zuletzt die leiſeſte Regung in<lb/> einem Geſicht verſtehen, das man ſtets im Wachen<lb/> und ach, wie oft im Traume! vor ſich ſieht? Und<lb/> dann, wenn man die Hoffnung, je geliebt zu werden,<lb/> aufgegeben hat, ſo will man wenigſtens die Ueberzeu¬<lb/> gung haben, daß derjenige, welchem dieſes Glück zu<lb/> Theil wird, auch kein Unwürdiger iſt.“</p><lb/> <p>„Oldenburg!“</p><lb/> <p>„Er iſt kein Unwürdiger, aber — ich bin Dein<lb/> Freund, Melitta! er iſt Deiner auch nicht würdig,<lb/> noch nicht würdig. Er hat viele große und ſchöne<lb/> Eigenſchaften, ich weiß es wol; aber ſein Charakter<lb/> iſt noch nicht im dreimal heiligen Feuer des Unglücks<lb/> geſtählt, und ſo weiß er auch das Glück noch nicht<lb/> zu ſchätzen. Er hat eine unendliche Empfänglichkeit<lb/> für Alles, was ſchön und anmuthig iſt, und deshalb<lb/> betet er Dich an; aber, weil er ſeiner Natur nach<lb/> eben für Alles empfänglich iſt, wird es ihm unendlich<lb/> ſchwer, nicht über dem Anmuthigeren und Schöneren<lb/> das Schöne und Anmuthige zu vergeſſen; das heißt:<lb/> treu zu ſein. Er iſt ein Dichter, und eines Dichters<lb/> Liebe iſt das Ideal. Er wird das köſtlichſte Gefäß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [197/0207]
Glaube nicht, daß ich mich auf krummem Wege in
Dein Geheimniß geſtohlen habe! Ich habe nur die
Augen nicht geſchloſſen, das iſt Alles. Oder glaubſt
Du, man lerne nicht zuletzt die leiſeſte Regung in
einem Geſicht verſtehen, das man ſtets im Wachen
und ach, wie oft im Traume! vor ſich ſieht? Und
dann, wenn man die Hoffnung, je geliebt zu werden,
aufgegeben hat, ſo will man wenigſtens die Ueberzeu¬
gung haben, daß derjenige, welchem dieſes Glück zu
Theil wird, auch kein Unwürdiger iſt.“
„Oldenburg!“
„Er iſt kein Unwürdiger, aber — ich bin Dein
Freund, Melitta! er iſt Deiner auch nicht würdig,
noch nicht würdig. Er hat viele große und ſchöne
Eigenſchaften, ich weiß es wol; aber ſein Charakter
iſt noch nicht im dreimal heiligen Feuer des Unglücks
geſtählt, und ſo weiß er auch das Glück noch nicht
zu ſchätzen. Er hat eine unendliche Empfänglichkeit
für Alles, was ſchön und anmuthig iſt, und deshalb
betet er Dich an; aber, weil er ſeiner Natur nach
eben für Alles empfänglich iſt, wird es ihm unendlich
ſchwer, nicht über dem Anmuthigeren und Schöneren
das Schöne und Anmuthige zu vergeſſen; das heißt:
treu zu ſein. Er iſt ein Dichter, und eines Dichters
Liebe iſt das Ideal. Er wird das köſtlichſte Gefäß
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