durch Einschüchterung, durch Gewaltmaßregeln nichts ausgerichtet werden könnte, und daß Güte nicht nur der sicherste, sondern auch der einzige Weg sei. So war sie denn gütig, nach ihren Begriffen äußerst gütig gegen die schöne Tochter, und damit die Andern nicht merkten, worauf dies Alles hinausging, oder auch nur um in der Uebung zu bleiben, war sie es gegen diese auch. Seltsamerweise indessen schien gerade die, für welche diese Gnadensonne leuchtete, am wenigsten da¬ durch erwärmt zu werden. Helene veränderte ihre ruhig abgemessene Haltung, ihr höflig kühles Wesen auch nicht im Mindesten: die von der Baronin stets so gerühmte Pension hatte in der Erziehung Fräulein Helene's offenbar ein Meisterstück geliefert.
Und dennoch war dieses junge Herz, das so kalt, so unzugänglich schien, warmer Gefühle wol fähig. Sie hatte, als sie von ihren Freundinnen und der hoch verehrten Lehrerin Abschied nahm, heiße Thränen geweint, die sie freilich, als die Mutter eine Bemerkung darüber machte, sofort trocknete; sie erwies dem Vater manche Aufmerksamkeiten, auf welche die bloße Höflich¬ keit nie verfällt; sie konnte ein armes Kind nicht blos beschenken, sondern auch an die Hand nehmen und freundlich mit ihm sprechen. Ihre Freundinnen, deren sie allerdings immer nur sehr wenige besaß, hatten
durch Einſchüchterung, durch Gewaltmaßregeln nichts ausgerichtet werden könnte, und daß Güte nicht nur der ſicherſte, ſondern auch der einzige Weg ſei. So war ſie denn gütig, nach ihren Begriffen äußerſt gütig gegen die ſchöne Tochter, und damit die Andern nicht merkten, worauf dies Alles hinausging, oder auch nur um in der Uebung zu bleiben, war ſie es gegen dieſe auch. Seltſamerweiſe indeſſen ſchien gerade die, für welche dieſe Gnadenſonne leuchtete, am wenigſten da¬ durch erwärmt zu werden. Helene veränderte ihre ruhig abgemeſſene Haltung, ihr höflig kühles Weſen auch nicht im Mindeſten: die von der Baronin ſtets ſo gerühmte Penſion hatte in der Erziehung Fräulein Helene's offenbar ein Meiſterſtück geliefert.
Und dennoch war dieſes junge Herz, das ſo kalt, ſo unzugänglich ſchien, warmer Gefühle wol fähig. Sie hatte, als ſie von ihren Freundinnen und der hoch verehrten Lehrerin Abſchied nahm, heiße Thränen geweint, die ſie freilich, als die Mutter eine Bemerkung darüber machte, ſofort trocknete; ſie erwies dem Vater manche Aufmerkſamkeiten, auf welche die bloße Höflich¬ keit nie verfällt; ſie konnte ein armes Kind nicht blos beſchenken, ſondern auch an die Hand nehmen und freundlich mit ihm ſprechen. Ihre Freundinnen, deren ſie allerdings immer nur ſehr wenige beſaß, hatten
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durch Einſchüchterung, durch Gewaltmaßregeln nichts
ausgerichtet werden könnte, und daß Güte nicht nur
der ſicherſte, ſondern auch der einzige Weg ſei. So
war ſie denn gütig, nach ihren Begriffen äußerſt gütig
gegen die ſchöne Tochter, und damit die Andern nicht
merkten, worauf dies Alles hinausging, oder auch nur
um in der Uebung zu bleiben, war ſie es gegen dieſe
auch. Seltſamerweiſe indeſſen ſchien gerade die, für
welche dieſe Gnadenſonne leuchtete, am wenigſten da¬
durch erwärmt zu werden. Helene veränderte ihre
ruhig abgemeſſene Haltung, ihr höflig kühles Weſen
auch nicht im Mindeſten: die von der Baronin ſtets
ſo gerühmte Penſion hatte in der Erziehung Fräulein
Helene's offenbar ein Meiſterſtück geliefert.
Und dennoch war dieſes junge Herz, das ſo kalt,
ſo unzugänglich ſchien, warmer Gefühle wol fähig.
Sie hatte, als ſie von ihren Freundinnen und der
hoch verehrten Lehrerin Abſchied nahm, heiße Thränen
geweint, die ſie freilich, als die Mutter eine Bemerkung
darüber machte, ſofort trocknete; ſie erwies dem Vater
manche Aufmerkſamkeiten, auf welche die bloße Höflich¬
keit nie verfällt; ſie konnte ein armes Kind nicht blos
beſchenken, ſondern auch an die Hand nehmen und
freundlich mit ihm ſprechen. Ihre Freundinnen, deren
ſie allerdings immer nur ſehr wenige beſaß, hatten
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/191>, abgerufen am 16.02.2025.
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