"Ich nicht habe die Zeit," sagte die hübsche Fran¬ zösin, und versuchte ihren Arm loszumachen.
"Dummes Zeug!" sagte Albert, wenn Du nicht jetzt hast die Zeit, wo die alte Vogelscheuche fort ist, wann wollen Sie Zeit haben! Kommen Sie! Venez! komm, Du kleiner Zieraffe! Wir haben schon so schöne Fortschritte gemacht in der Conjugation von aimer: J'aime, tu aimes -- nous aimons --"
Und Albert zog die sich nicht allzusehr sträubende Marguerite in den Garten, und wer sich für dies ro¬ mantische Paar interessirte, konnte es bis zum Mittag daselbst Arm in Arm umherschweifen sehen, und die Beobachtung machen, daß es den verschiedenen Bos¬ kets und den dichteren Baumgängen entschieden den Vorzug vor den offenen Plätzen gab, was bei der großen Hitze des Tages am Ende auch ganz natür¬ lich war.
Es war am Nachmittage und Oswald saß wieder an seinem Schreibtische, den er nur, um mit Albert und Marguerite ein kurzes und von seiner Seite sehr schweigsames Mittagsmahl einzunehmen, verlassen hatte, als ihm ein Billet gebracht wurde. Oswald war, seitdem er auf Grenwitz lebte, so wenig gewohnt, dergleichen zu empfangen, daß er den Bedienten, der es ihm einhändigte, ganz erstaunt fragte: von wem?
„Ich nicht habe die Zeit,“ ſagte die hübſche Fran¬ zöſin, und verſuchte ihren Arm loszumachen.
„Dummes Zeug!“ ſagte Albert, wenn Du nicht jetzt haſt die Zeit, wo die alte Vogelſcheuche fort iſt, wann wollen Sie Zeit haben! Kommen Sie! Venez! komm, Du kleiner Zieraffe! Wir haben ſchon ſo ſchöne Fortſchritte gemacht in der Conjugation von aimer: J'aime, tu aimes — nous aimons —“
Und Albert zog die ſich nicht allzuſehr ſträubende Marguerite in den Garten, und wer ſich für dies ro¬ mantiſche Paar intereſſirte, konnte es bis zum Mittag daſelbſt Arm in Arm umherſchweifen ſehen, und die Beobachtung machen, daß es den verſchiedenen Bos¬ kets und den dichteren Baumgängen entſchieden den Vorzug vor den offenen Plätzen gab, was bei der großen Hitze des Tages am Ende auch ganz natür¬ lich war.
Es war am Nachmittage und Oswald ſaß wieder an ſeinem Schreibtiſche, den er nur, um mit Albert und Marguerite ein kurzes und von ſeiner Seite ſehr ſchweigſames Mittagsmahl einzunehmen, verlaſſen hatte, als ihm ein Billet gebracht wurde. Oswald war, ſeitdem er auf Grenwitz lebte, ſo wenig gewohnt, dergleichen zu empfangen, daß er den Bedienten, der es ihm einhändigte, ganz erſtaunt fragte: von wem?
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„Ich nicht habe die Zeit,“ ſagte die hübſche Fran¬
zöſin, und verſuchte ihren Arm loszumachen.
„Dummes Zeug!“ ſagte Albert, wenn Du nicht
jetzt haſt die Zeit, wo die alte Vogelſcheuche fort iſt,
wann wollen Sie Zeit haben! Kommen Sie! Venez!
komm, Du kleiner Zieraffe! Wir haben ſchon ſo ſchöne
Fortſchritte gemacht in der Conjugation von aimer:
J'aime, tu aimes — nous aimons —“
Und Albert zog die ſich nicht allzuſehr ſträubende
Marguerite in den Garten, und wer ſich für dies ro¬
mantiſche Paar intereſſirte, konnte es bis zum Mittag
daſelbſt Arm in Arm umherſchweifen ſehen, und die
Beobachtung machen, daß es den verſchiedenen Bos¬
kets und den dichteren Baumgängen entſchieden den
Vorzug vor den offenen Plätzen gab, was bei der
großen Hitze des Tages am Ende auch ganz natür¬
lich war.
Es war am Nachmittage und Oswald ſaß wieder
an ſeinem Schreibtiſche, den er nur, um mit Albert
und Marguerite ein kurzes und von ſeiner Seite ſehr
ſchweigſames Mittagsmahl einzunehmen, verlaſſen
hatte, als ihm ein Billet gebracht wurde. Oswald
war, ſeitdem er auf Grenwitz lebte, ſo wenig gewohnt,
dergleichen zu empfangen, daß er den Bedienten, der
es ihm einhändigte, ganz erſtaunt fragte: von wem?
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/19>, abgerufen am 16.02.2025.
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