den ihm zugeschleuderten Reifen womöglich aufzu¬ fangen?
Ob Fräulein Helene wußte, daß sie die Ursache aller dieser großen und kleinen Veränderungen war? Es war sehr schwer, zu sagen, ob Fräulein Helene etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob sie sich über etwas freute oder nicht, ob sie heiter war oder nicht; ob Jemand in der Gesellschaft für sie vorhanden war, oder nicht. Ihre stolze ruhige Miene veränderte sich sehr selten, und das lächeln, zu dem sie sich gelegent¬ lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend, doch so flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den ihr Herz etwa dabei hatte, bestimmen konnte. Sie war gegen ihre Eltern ganz die gehorsame, aufmerk¬ same Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬ ster, die, wenn sie die Schwächen des Bruders schonen soll, auch ihrerseits respectirt zu werden wünscht; gegen Mademoiselle Marguerite ganz die freundliche Herrin, die sich in jedem Augenblicke des Unterschiedes der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬ sion her noch sehr gut weiß, wie tief die Verbeugung vor Herren in niedrigeren Lebensstellungen sein muß und nur für Bruno schien sie eine herzlichere Zu¬ neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ sie ein
den ihm zugeſchleuderten Reifen womöglich aufzu¬ fangen?
Ob Fräulein Helene wußte, daß ſie die Urſache aller dieſer großen und kleinen Veränderungen war? Es war ſehr ſchwer, zu ſagen, ob Fräulein Helene etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob ſie ſich über etwas freute oder nicht, ob ſie heiter war oder nicht; ob Jemand in der Geſellſchaft für ſie vorhanden war, oder nicht. Ihre ſtolze ruhige Miene veränderte ſich ſehr ſelten, und das lächeln, zu dem ſie ſich gelegent¬ lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend, doch ſo flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den ihr Herz etwa dabei hatte, beſtimmen konnte. Sie war gegen ihre Eltern ganz die gehorſame, aufmerk¬ ſame Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬ ſter, die, wenn ſie die Schwächen des Bruders ſchonen ſoll, auch ihrerſeits reſpectirt zu werden wünſcht; gegen Mademoiſelle Marguerite ganz die freundliche Herrin, die ſich in jedem Augenblicke des Unterſchiedes der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬ ſion her noch ſehr gut weiß, wie tief die Verbeugung vor Herren in niedrigeren Lebensſtellungen ſein muß und nur für Bruno ſchien ſie eine herzlichere Zu¬ neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ ſie ein
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den ihm zugeſchleuderten Reifen womöglich aufzu¬
fangen?
Ob Fräulein Helene wußte, daß ſie die Urſache
aller dieſer großen und kleinen Veränderungen war?
Es war ſehr ſchwer, zu ſagen, ob Fräulein Helene
etwas bemerkt hatte oder nicht; ja, ob ſie ſich über
etwas freute oder nicht, ob ſie heiter war oder nicht;
ob Jemand in der Geſellſchaft für ſie vorhanden war,
oder nicht. Ihre ſtolze ruhige Miene veränderte ſich
ſehr ſelten, und das lächeln, zu dem ſie ſich gelegent¬
lich herabließ, war, obgleich außerordentlich reizend,
doch ſo flüchtig, daß man nicht wol den Antheil, den
ihr Herz etwa dabei hatte, beſtimmen konnte. Sie
war gegen ihre Eltern ganz die gehorſame, aufmerk¬
ſame Tochter, gegen ihren Bruder die ältere Schwe¬
ſter, die, wenn ſie die Schwächen des Bruders ſchonen
ſoll, auch ihrerſeits reſpectirt zu werden wünſcht;
gegen Mademoiſelle Marguerite ganz die freundliche
Herrin, die ſich in jedem Augenblicke des Unterſchiedes
der Stellung bewußt bleibt; gegen Oswald und Albert
ganz die vornehme junge Dame, welche von der Pen¬
ſion her noch ſehr gut weiß, wie tief die Verbeugung
vor Herren in niedrigeren Lebensſtellungen ſein muß
und nur für Bruno ſchien ſie eine herzlichere Zu¬
neigung zu haben, nur ihm gegenüber ließ ſie ein
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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