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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

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dete und im Schatten der Eiche das schnöde Sklaven¬
mahl verzehrte, sich nicht zurücksehnte nach der Am¬
brosia und dem Nektar auf den goldenen Tischen im
Hause des Zeus? Dennoch trug er sein Loos und
duldete das Verhängniß, wie der noch viel herrlichere
Jesus von Nazareth das seinige. Und ich muß ge¬
stehen, mir erschien es immer als eine grobe Incon¬
sequenz, daß des Menschen Sohn von allen, zum we¬
nigsten von den stärksten menschlichen Banden los und
ledig dargestellt wird. Sollte er den Leidenskelch wirk¬
lich bis auf den letzten bittersten Tropfen leeren,
mußte er durch die stille Nacht auf dem Oelberge
die Stimmen eines angebeteten Weibes, geliebter Kin¬
der zu hören glauben, die ängstlich nach dem Gatten,
dem Vater riefen. Denn menschlich allem Mensch¬
lichen ergeben sein, und dennoch die himmliche Ab¬
kunft nicht vergessen und dennoch bis an den Tod mit
den reißenden Wölfen der Tyrannei und Lüge kämpfen
und das schwere Kreuz des ganz Gemeinen und ewig
Gestrigen, das auf uns lastet, bis nach Golgatha
tragen -- das erscheint mir als das eigentliche Loos
des Menschensohns!"

Der Doctor war aufgesprungen; er ging ein paar
Mal mit raschen Schritten in dem Gemache auf und
ab, dann blieb er vor Oswald stehen, streckte ihm

dete und im Schatten der Eiche das ſchnöde Sklaven¬
mahl verzehrte, ſich nicht zurückſehnte nach der Am¬
broſia und dem Nektar auf den goldenen Tiſchen im
Hauſe des Zeus? Dennoch trug er ſein Loos und
duldete das Verhängniß, wie der noch viel herrlichere
Jeſus von Nazareth das ſeinige. Und ich muß ge¬
ſtehen, mir erſchien es immer als eine grobe Incon¬
ſequenz, daß des Menſchen Sohn von allen, zum we¬
nigſten von den ſtärkſten menſchlichen Banden los und
ledig dargeſtellt wird. Sollte er den Leidenskelch wirk¬
lich bis auf den letzten bitterſten Tropfen leeren,
mußte er durch die ſtille Nacht auf dem Oelberge
die Stimmen eines angebeteten Weibes, geliebter Kin¬
der zu hören glauben, die ängſtlich nach dem Gatten,
dem Vater riefen. Denn menſchlich allem Menſch¬
lichen ergeben ſein, und dennoch die himmliche Ab¬
kunft nicht vergeſſen und dennoch bis an den Tod mit
den reißenden Wölfen der Tyrannei und Lüge kämpfen
und das ſchwere Kreuz des ganz Gemeinen und ewig
Geſtrigen, das auf uns laſtet, bis nach Golgatha
tragen — das erſcheint mir als das eigentliche Loos
des Menſchenſohns!“

Der Doctor war aufgeſprungen; er ging ein paar
Mal mit raſchen Schritten in dem Gemache auf und
ab, dann blieb er vor Oswald ſtehen, ſtreckte ihm

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[167/0177] dete und im Schatten der Eiche das ſchnöde Sklaven¬ mahl verzehrte, ſich nicht zurückſehnte nach der Am¬ broſia und dem Nektar auf den goldenen Tiſchen im Hauſe des Zeus? Dennoch trug er ſein Loos und duldete das Verhängniß, wie der noch viel herrlichere Jeſus von Nazareth das ſeinige. Und ich muß ge¬ ſtehen, mir erſchien es immer als eine grobe Incon¬ ſequenz, daß des Menſchen Sohn von allen, zum we¬ nigſten von den ſtärkſten menſchlichen Banden los und ledig dargeſtellt wird. Sollte er den Leidenskelch wirk¬ lich bis auf den letzten bitterſten Tropfen leeren, mußte er durch die ſtille Nacht auf dem Oelberge die Stimmen eines angebeteten Weibes, geliebter Kin¬ der zu hören glauben, die ängſtlich nach dem Gatten, dem Vater riefen. Denn menſchlich allem Menſch¬ lichen ergeben ſein, und dennoch die himmliche Ab¬ kunft nicht vergeſſen und dennoch bis an den Tod mit den reißenden Wölfen der Tyrannei und Lüge kämpfen und das ſchwere Kreuz des ganz Gemeinen und ewig Geſtrigen, das auf uns laſtet, bis nach Golgatha tragen — das erſcheint mir als das eigentliche Loos des Menſchenſohns!“ Der Doctor war aufgeſprungen; er ging ein paar Mal mit raſchen Schritten in dem Gemache auf und ab, dann blieb er vor Oswald ſtehen, ſtreckte ihm

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/177>, abgerufen am 22.11.2024.