Aus diesem Zweifel wurde er durch Fräulein He¬ lene befreit, die es vielleicht ganz begreiflich fand, daß der junge Hauslehrer, von dessen Unterhaltungsgabe sie gestern Abend keine besonders große Meinung be¬ kommen hatte, nicht die Geistesgegenwart habe, aus dem Stegreife eine Conversation zu beginnen; und deshalb glaubte, daß eine harmlose Bemerkung ihrer¬ seits über den schönen Morgen das für die Situation Passendste sein dürfte.
"Der schöne Morgen hat Sie auch herausgelockt, wie ich sehe."
"Ja, mein Fräulein. Der Morgen ist in der That sehr schön."
"Köstlich. Haben Sie immer so herrliches Wetter in der letzten Zeit gehabt?"
"Immer; das heißt, einige Regentage ausge¬ nommen."
"Wenn man den Himmel so blau sieht, sollte man schlechtes Wetter für ein Märchen halten, meinen Sie nicht auch?"
"Gewiß."
Fräulein Helene mochte glauben, daß diese geist¬ reiche Unterhaltung nun lange genug gedauert habe, und da sie zufällig an einer Stelle angelangt waren, wo eine schmale Treppe von dem Wall hinab in den
Aus dieſem Zweifel wurde er durch Fräulein He¬ lene befreit, die es vielleicht ganz begreiflich fand, daß der junge Hauslehrer, von deſſen Unterhaltungsgabe ſie geſtern Abend keine beſonders große Meinung be¬ kommen hatte, nicht die Geiſtesgegenwart habe, aus dem Stegreife eine Converſation zu beginnen; und deshalb glaubte, daß eine harmloſe Bemerkung ihrer¬ ſeits über den ſchönen Morgen das für die Situation Paſſendſte ſein dürfte.
„Der ſchöne Morgen hat Sie auch herausgelockt, wie ich ſehe.“
„Ja, mein Fräulein. Der Morgen iſt in der That ſehr ſchön.“
„Köſtlich. Haben Sie immer ſo herrliches Wetter in der letzten Zeit gehabt?“
„Immer; das heißt, einige Regentage ausge¬ nommen.“
„Wenn man den Himmel ſo blau ſieht, ſollte man ſchlechtes Wetter für ein Märchen halten, meinen Sie nicht auch?“
„Gewiß.“
Fräulein Helene mochte glauben, daß dieſe geiſt¬ reiche Unterhaltung nun lange genug gedauert habe, und da ſie zufällig an einer Stelle angelangt waren, wo eine ſchmale Treppe von dem Wall hinab in den
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Aus dieſem Zweifel wurde er durch Fräulein He¬
lene befreit, die es vielleicht ganz begreiflich fand, daß
der junge Hauslehrer, von deſſen Unterhaltungsgabe
ſie geſtern Abend keine beſonders große Meinung be¬
kommen hatte, nicht die Geiſtesgegenwart habe, aus
dem Stegreife eine Converſation zu beginnen; und
deshalb glaubte, daß eine harmloſe Bemerkung ihrer¬
ſeits über den ſchönen Morgen das für die Situation
Paſſendſte ſein dürfte.
„Der ſchöne Morgen hat Sie auch herausgelockt,
wie ich ſehe.“
„Ja, mein Fräulein. Der Morgen iſt in der That
ſehr ſchön.“
„Köſtlich. Haben Sie immer ſo herrliches Wetter
in der letzten Zeit gehabt?“
„Immer; das heißt, einige Regentage ausge¬
nommen.“
„Wenn man den Himmel ſo blau ſieht, ſollte man
ſchlechtes Wetter für ein Märchen halten, meinen Sie
nicht auch?“
„Gewiß.“
Fräulein Helene mochte glauben, daß dieſe geiſt¬
reiche Unterhaltung nun lange genug gedauert habe,
und da ſie zufällig an einer Stelle angelangt waren,
wo eine ſchmale Treppe von dem Wall hinab in den
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/151>, abgerufen am 16.02.2025.
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