die Töne der Nachtigall auf Noten bringen? wer die Schönheit zergliedern? Oswald versuchte es auch nicht; er fühlte nur, daß er etwas Schöneres nie im Leben gesehen habe, nie wieder sehen werde, und es war ihm, als ob ein holder Traum, den er oft und oft geträumt, nun endlich in Erfüllung gegangen, als ob die blaue Blume, nach der er allüberall vergeblich ge¬ sucht, nun endlich gefunden sei...
Oswald wollte die Gesellschaft begrüßen, aber es war, als ob sein Fuß an den Boden gefesselt wäre. Eine ihm unerklärliche Angst ergriff ihn, ein banges Zagen, als ob jetzt etwas Ungeheures geschehen müsse, als werde in diesem Augenblick von geheimen Mächten des Schicksals über das Wohl und Wehe seines Lebens entschieden ... er hätte fliehen mögen, weit, weit fort, in die tiefste Einsamkeit...
Da bemerkte er, daß der alte Baron, dem es draußen zu kühl werden mochte, aus dem Kreise aus¬ geschieden war und sich dem Hause näherte. Er raffte sich gewaltsam empor und trat durch die Fensterthür dem Kommenden entgegen. Sein Erscheinen wurde natürlich sofort bemerkt und ein allgemeines: ah, Herr Stein! sieh da, Herr Doctor! bewillkommnete ihn, während Bruno, den Anderen voraus, mit ein paar mächtigen Sprüngen bei ihm war und ihn um¬
die Töne der Nachtigall auf Noten bringen? wer die Schönheit zergliedern? Oswald verſuchte es auch nicht; er fühlte nur, daß er etwas Schöneres nie im Leben geſehen habe, nie wieder ſehen werde, und es war ihm, als ob ein holder Traum, den er oft und oft geträumt, nun endlich in Erfüllung gegangen, als ob die blaue Blume, nach der er allüberall vergeblich ge¬ ſucht, nun endlich gefunden ſei...
Oswald wollte die Geſellſchaft begrüßen, aber es war, als ob ſein Fuß an den Boden gefeſſelt wäre. Eine ihm unerklärliche Angſt ergriff ihn, ein banges Zagen, als ob jetzt etwas Ungeheures geſchehen müſſe, als werde in dieſem Augenblick von geheimen Mächten des Schickſals über das Wohl und Wehe ſeines Lebens entſchieden ... er hätte fliehen mögen, weit, weit fort, in die tiefſte Einſamkeit...
Da bemerkte er, daß der alte Baron, dem es draußen zu kühl werden mochte, aus dem Kreiſe aus¬ geſchieden war und ſich dem Hauſe näherte. Er raffte ſich gewaltſam empor und trat durch die Fenſterthür dem Kommenden entgegen. Sein Erſcheinen wurde natürlich ſofort bemerkt und ein allgemeines: ah, Herr Stein! ſieh da, Herr Doctor! bewillkommnete ihn, während Bruno, den Anderen voraus, mit ein paar mächtigen Sprüngen bei ihm war und ihn um¬
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die Töne der Nachtigall auf Noten bringen? wer die
Schönheit zergliedern? Oswald verſuchte es auch
nicht; er fühlte nur, daß er etwas Schöneres nie im
Leben geſehen habe, nie wieder ſehen werde, und es
war ihm, als ob ein holder Traum, den er oft und oft
geträumt, nun endlich in Erfüllung gegangen, als ob
die blaue Blume, nach der er allüberall vergeblich ge¬
ſucht, nun endlich gefunden ſei...
Oswald wollte die Geſellſchaft begrüßen, aber es
war, als ob ſein Fuß an den Boden gefeſſelt wäre.
Eine ihm unerklärliche Angſt ergriff ihn, ein banges
Zagen, als ob jetzt etwas Ungeheures geſchehen müſſe,
als werde in dieſem Augenblick von geheimen Mächten
des Schickſals über das Wohl und Wehe ſeines Lebens
entſchieden ... er hätte fliehen mögen, weit, weit fort,
in die tiefſte Einſamkeit...
Da bemerkte er, daß der alte Baron, dem es
draußen zu kühl werden mochte, aus dem Kreiſe aus¬
geſchieden war und ſich dem Hauſe näherte. Er raffte
ſich gewaltſam empor und trat durch die Fenſterthür
dem Kommenden entgegen. Sein Erſcheinen wurde
natürlich ſofort bemerkt und ein allgemeines: ah,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/135>, abgerufen am 19.07.2024.
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