und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz sehen ...
Es war eins der Gesichter, die man nie wieder vergißt, wenn man einmal mit fühlenden Augen hin¬ eingeschaut, an die sich noch der Greis über ein halbes Jahrhundert weg mit wehmüthiger Freude erinnert, wie er sich an einen warmen Sommerabend erinnert, als er -- ein kleiner Schulknabe -- mit den Brüdern im Garten spielte und aus der Laube das Lachen der großen Mädchen klang; eins der Gesichter, die uns, wenn wir noch so traurig sind, anlächeln, wie ein Sonnenblick an einem düstern Herbsttage, die, wenn es in unserm Herzen noch so öde ist, uns wieder an Poesie und Alles, was schön und göttlich ist, glauben machen.
Oswald stand in Bewunderung verloren, wie man vor einem wunderherrlichen Gemälde anbetend stehen bleibt. Es war nicht das liebliche Oval des reizenden Gesichtes; es waren nicht die großen, dunkeln, träu¬ merischen Augen, die aus den langen schwarzen Wim¬ pern mit einem so zauberischen Lichte leuchteten; es waren nicht die vollen rosigen Lippen, die so freundlich lächeln konnten; es war nicht das dunkle Incarnat des sammetweichen Teints -- es war eben Alles in Allem. Wer kann die Sonnenstrahlen fangen? wer
und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz ſehen ...
Es war eins der Geſichter, die man nie wieder vergißt, wenn man einmal mit fühlenden Augen hin¬ eingeſchaut, an die ſich noch der Greis über ein halbes Jahrhundert weg mit wehmüthiger Freude erinnert, wie er ſich an einen warmen Sommerabend erinnert, als er — ein kleiner Schulknabe — mit den Brüdern im Garten ſpielte und aus der Laube das Lachen der großen Mädchen klang; eins der Geſichter, die uns, wenn wir noch ſo traurig ſind, anlächeln, wie ein Sonnenblick an einem düſtern Herbſttage, die, wenn es in unſerm Herzen noch ſo öde iſt, uns wieder an Poeſie und Alles, was ſchön und göttlich iſt, glauben machen.
Oswald ſtand in Bewunderung verloren, wie man vor einem wunderherrlichen Gemälde anbetend ſtehen bleibt. Es war nicht das liebliche Oval des reizenden Geſichtes; es waren nicht die großen, dunkeln, träu¬ meriſchen Augen, die aus den langen ſchwarzen Wim¬ pern mit einem ſo zauberiſchen Lichte leuchteten; es waren nicht die vollen roſigen Lippen, die ſo freundlich lächeln konnten; es war nicht das dunkle Incarnat des ſammetweichen Teints — es war eben Alles in Allem. Wer kann die Sonnenſtrahlen fangen? wer
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und Oswald konnte jetzt Helene voll in's Antlitz
ſehen ...
Es war eins der Geſichter, die man nie wieder
vergißt, wenn man einmal mit fühlenden Augen hin¬
eingeſchaut, an die ſich noch der Greis über ein halbes
Jahrhundert weg mit wehmüthiger Freude erinnert,
wie er ſich an einen warmen Sommerabend erinnert,
als er — ein kleiner Schulknabe — mit den Brüdern
im Garten ſpielte und aus der Laube das Lachen der
großen Mädchen klang; eins der Geſichter, die uns,
wenn wir noch ſo traurig ſind, anlächeln, wie ein
Sonnenblick an einem düſtern Herbſttage, die, wenn
es in unſerm Herzen noch ſo öde iſt, uns wieder an
Poeſie und Alles, was ſchön und göttlich iſt, glauben
machen.
Oswald ſtand in Bewunderung verloren, wie man
vor einem wunderherrlichen Gemälde anbetend ſtehen
bleibt. Es war nicht das liebliche Oval des reizenden
Geſichtes; es waren nicht die großen, dunkeln, träu¬
meriſchen Augen, die aus den langen ſchwarzen Wim¬
pern mit einem ſo zauberiſchen Lichte leuchteten; es
waren nicht die vollen roſigen Lippen, die ſo freundlich
lächeln konnten; es war nicht das dunkle Incarnat
des ſammetweichen Teints — es war eben Alles in
Allem. Wer kann die Sonnenſtrahlen fangen? wer
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/134>, abgerufen am 19.07.2024.
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