Sie schluchzte laut auf, und wäre zu Boden gestürzt, hätte Oswald sie nicht in seinen Armen aufgefangen. Seine Lage war so peinlich wie möglich. In jedem Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu hören, den Vorhang zurückschlagen zu sehen -- und wiederum, die Aermste in diesem Zustand halber Ohnmacht zu verlassen, zumal da er ihr schicklicher¬ weise Niemand zu Hülfe senden konnte, war ihm un¬ möglich. Und doch mußte er sich losreißen, denn er fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte Fieber seiner Sinne, je länger diese wunderliche Si¬ tuation währte, wieder heiß und immer heißer durch seine Adern zu rieseln begann . . . zärtliche, liebe¬ volle, leidenschaftliche Worte mischten sich, er wußte selbst nicht wie, in seine leisen Bitten; eine unwider¬ stehliche Gewalt drückte ihm den schlanken jugend¬ lichen Leib fester und fester in die Arme, ließ seine Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des holden Geschöpfes berühren. . . . Mehr als alle Worte es vermocht hätten, brachten diese Zeichen der Liebe das leidenschaftliche Kind wieder zu sich.
"So liebst Du mich doch, Oswald?" flüsterte sie, sich innig an ihn schmiegend.
"Ja, ja, Holde, wer könnte so grausam sein, Dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beschwöre
Sie ſchluchzte laut auf, und wäre zu Boden geſtürzt, hätte Oswald ſie nicht in ſeinen Armen aufgefangen. Seine Lage war ſo peinlich wie möglich. In jedem Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu hören, den Vorhang zurückſchlagen zu ſehen — und wiederum, die Aermſte in dieſem Zuſtand halber Ohnmacht zu verlaſſen, zumal da er ihr ſchicklicher¬ weiſe Niemand zu Hülfe ſenden konnte, war ihm un¬ möglich. Und doch mußte er ſich losreißen, denn er fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte Fieber ſeiner Sinne, je länger dieſe wunderliche Si¬ tuation währte, wieder heiß und immer heißer durch ſeine Adern zu rieſeln begann . . . zärtliche, liebe¬ volle, leidenſchaftliche Worte miſchten ſich, er wußte ſelbſt nicht wie, in ſeine leiſen Bitten; eine unwider¬ ſtehliche Gewalt drückte ihm den ſchlanken jugend¬ lichen Leib feſter und feſter in die Arme, ließ ſeine Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des holden Geſchöpfes berühren. . . . Mehr als alle Worte es vermocht hätten, brachten dieſe Zeichen der Liebe das leidenſchaftliche Kind wieder zu ſich.
„So liebſt Du mich doch, Oswald?“ flüſterte ſie, ſich innig an ihn ſchmiegend.
„Ja, ja, Holde, wer könnte ſo grauſam ſein, Dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beſchwöre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0097"n="87"/>
Sie ſchluchzte laut auf, und wäre zu Boden geſtürzt,<lb/>
hätte Oswald ſie nicht in ſeinen Armen aufgefangen.<lb/>
Seine Lage war ſo peinlich wie möglich. In jedem<lb/>
Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu<lb/>
hören, den Vorhang zurückſchlagen zu ſehen — und<lb/>
wiederum, die Aermſte in dieſem Zuſtand halber<lb/>
Ohnmacht zu verlaſſen, zumal da er ihr ſchicklicher¬<lb/>
weiſe Niemand zu Hülfe ſenden konnte, war ihm un¬<lb/>
möglich. Und doch mußte er ſich losreißen, denn er<lb/>
fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte<lb/>
Fieber ſeiner Sinne, je länger dieſe wunderliche Si¬<lb/>
tuation währte, wieder heiß und immer heißer durch<lb/>ſeine Adern zu rieſeln begann . . . zärtliche, liebe¬<lb/>
volle, leidenſchaftliche Worte miſchten ſich, er wußte<lb/>ſelbſt nicht wie, in ſeine leiſen Bitten; eine unwider¬<lb/>ſtehliche Gewalt drückte ihm den ſchlanken jugend¬<lb/>
lichen Leib feſter und feſter in die Arme, ließ ſeine<lb/>
Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des<lb/>
holden Geſchöpfes berühren. . . . Mehr als alle<lb/>
Worte es vermocht hätten, brachten dieſe Zeichen der<lb/>
Liebe das leidenſchaftliche Kind wieder zu ſich.</p><lb/><p>„So liebſt Du mich doch, Oswald?“ flüſterte ſie,<lb/>ſich innig an ihn ſchmiegend.</p><lb/><p>„Ja, ja, Holde, wer könnte ſo grauſam ſein,<lb/>
Dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beſchwöre<lb/></p></div></body></text></TEI>
[87/0097]
Sie ſchluchzte laut auf, und wäre zu Boden geſtürzt,
hätte Oswald ſie nicht in ſeinen Armen aufgefangen.
Seine Lage war ſo peinlich wie möglich. In jedem
Augenblick fürchtete er, Stimmen in dem Zimmer zu
hören, den Vorhang zurückſchlagen zu ſehen — und
wiederum, die Aermſte in dieſem Zuſtand halber
Ohnmacht zu verlaſſen, zumal da er ihr ſchicklicher¬
weiſe Niemand zu Hülfe ſenden konnte, war ihm un¬
möglich. Und doch mußte er ſich losreißen, denn er
fühlte, wie das für einen Augenblick zurückgedrängte
Fieber ſeiner Sinne, je länger dieſe wunderliche Si¬
tuation währte, wieder heiß und immer heißer durch
ſeine Adern zu rieſeln begann . . . zärtliche, liebe¬
volle, leidenſchaftliche Worte miſchten ſich, er wußte
ſelbſt nicht wie, in ſeine leiſen Bitten; eine unwider¬
ſtehliche Gewalt drückte ihm den ſchlanken jugend¬
lichen Leib feſter und feſter in die Arme, ließ ſeine
Lippen flüchtig die Lippen, die Augen, das Haar des
holden Geſchöpfes berühren. . . . Mehr als alle
Worte es vermocht hätten, brachten dieſe Zeichen der
Liebe das leidenſchaftliche Kind wieder zu ſich.
„So liebſt Du mich doch, Oswald?“ flüſterte ſie,
ſich innig an ihn ſchmiegend.
„Ja, ja, Holde, wer könnte ſo grauſam ſein,
Dich nicht zu lieben. Aber bei Ihrer Liebe beſchwöre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/97>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.