sprach: "Gnädige Frau, man hebt die Tafel auf, darf ich um Ihren Arm bitten?"
Während sie in den Reihen der Uebrigen die Treppe hinunterschritten, sprach Melitta kein Wort; auch Oswald nicht. Als sie unten im Saale ange¬ kommen waren, verbeugte er sich tief vor ihr, und als er den Kopf hob, schaute er auf einen Augenblick in ihr Antlitz. Er sah, wie schmerzlich es um ihre Lippen zuckte; er sah, welch' rührende Klage aus ihren großen dunkeln Augen sprach -- aber sein Herz war verschlossen, und er wandte sich zu einer Gruppe junger Mädchen und Herren, die das abgebrochene über¬ müthige Tischgespräch noch eine Weile fortsetzen zu wollen schienen. Melitta sah ihm noch für einen Mo¬ ment nach, sah, wie die hübsche Emilie von Breesen sich lebhaft zu ihm wandte, wie er ihr mit einem Scherze entgegentrat, sie lachend etwas erwiderte und ihn mit ihrem Fächer auf den Arm schlug. Weiter sah sie nichts mehr; als sie sich wiederfand, saß sie in der Ecke ihres Wagens. Auf die Bäume und Hecken an der Wegseite, die an dem Fenster vorübertanzten, fiel das helle Licht aus den Laternen, aber Melitta sah Alles nur wie durch einen Nebelflor, denn ihr Herz und ihre Augen waren voll Thränen.
ſprach: „Gnädige Frau, man hebt die Tafel auf, darf ich um Ihren Arm bitten?“
Während ſie in den Reihen der Uebrigen die Treppe hinunterſchritten, ſprach Melitta kein Wort; auch Oswald nicht. Als ſie unten im Saale ange¬ kommen waren, verbeugte er ſich tief vor ihr, und als er den Kopf hob, ſchaute er auf einen Augenblick in ihr Antlitz. Er ſah, wie ſchmerzlich es um ihre Lippen zuckte; er ſah, welch' rührende Klage aus ihren großen dunkeln Augen ſprach — aber ſein Herz war verſchloſſen, und er wandte ſich zu einer Gruppe junger Mädchen und Herren, die das abgebrochene über¬ müthige Tiſchgeſpräch noch eine Weile fortſetzen zu wollen ſchienen. Melitta ſah ihm noch für einen Mo¬ ment nach, ſah, wie die hübſche Emilie von Breeſen ſich lebhaft zu ihm wandte, wie er ihr mit einem Scherze entgegentrat, ſie lachend etwas erwiderte und ihn mit ihrem Fächer auf den Arm ſchlug. Weiter ſah ſie nichts mehr; als ſie ſich wiederfand, ſaß ſie in der Ecke ihres Wagens. Auf die Bäume und Hecken an der Wegſeite, die an dem Fenſter vorübertanzten, fiel das helle Licht aus den Laternen, aber Melitta ſah Alles nur wie durch einen Nebelflor, denn ihr Herz und ihre Augen waren voll Thränen.
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ſprach: „Gnädige Frau, man hebt die Tafel auf, darf
ich um Ihren Arm bitten?“
Während ſie in den Reihen der Uebrigen die
Treppe hinunterſchritten, ſprach Melitta kein Wort;
auch Oswald nicht. Als ſie unten im Saale ange¬
kommen waren, verbeugte er ſich tief vor ihr, und
als er den Kopf hob, ſchaute er auf einen Augenblick
in ihr Antlitz. Er ſah, wie ſchmerzlich es um ihre
Lippen zuckte; er ſah, welch' rührende Klage aus ihren
großen dunkeln Augen ſprach — aber ſein Herz war
verſchloſſen, und er wandte ſich zu einer Gruppe junger
Mädchen und Herren, die das abgebrochene über¬
müthige Tiſchgeſpräch noch eine Weile fortſetzen zu
wollen ſchienen. Melitta ſah ihm noch für einen Mo¬
ment nach, ſah, wie die hübſche Emilie von Breeſen
ſich lebhaft zu ihm wandte, wie er ihr mit einem
Scherze entgegentrat, ſie lachend etwas erwiderte und
ihn mit ihrem Fächer auf den Arm ſchlug. Weiter
ſah ſie nichts mehr; als ſie ſich wiederfand, ſaß ſie
in der Ecke ihres Wagens. Auf die Bäume und Hecken
an der Wegſeite, die an dem Fenſter vorübertanzten,
fiel das helle Licht aus den Laternen, aber Melitta
ſah Alles nur wie durch einen Nebelflor, denn ihr
Herz und ihre Augen waren voll Thränen.
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/90>, abgerufen am 17.02.2025.
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