Thür war, drehte er sich um, und winkte mir, ihm zu folgen.
Er schritt in dem Gemache auf und ab, endlich blieb er vor mir stehen und sagte mit dumpfer Stim¬ me: "Hat Dir Marie je gesagt, sie wolle sich das Leben nehmen?" "Nein", sagte ich. "War sie in der letzten Zeit besonders traurig?" "Ja."
Wieder ging er im Zimmer hin und her, mit un¬ gleichmäßigen Schritten und unverständliche Worte durch die Zähne murmelnd. Dann blieb er abermals vor mir stehen. "Und wenn sie sich das Leben genom¬ men hätte, so wäre ich ihr Mörder; murmelte er. "Wer sonst?" antwortete ich.
Er zuckte zusammen, als ob ihm ein Messer in die Brust gestoßen wäre. "Es kann nicht sein," sagte er mit bleichen Lippen, "es wäre zu gräßlich."
Ich wußte, welche Qualen er in diesem Augenblicke ausstand, aber ich wußte auch, daß der stolze Mann sie doch noch lieber dem Tod, als einem Andern gönnte, und überdies hatte ich zu schweigen versprochen. So blieb ich still und wartete ab, was er beginnen würde.
Er hieß mich klingeln und die Leute hereinrufen. Sie kamen. "Wer von Euch zu müde ist, mag zu Bette gehen:" sagte er, "wer noch weiter mit mir suchen will, soll dafür haben, was er verlangt."
17*
Thür war, drehte er ſich um, und winkte mir, ihm zu folgen.
Er ſchritt in dem Gemache auf und ab, endlich blieb er vor mir ſtehen und ſagte mit dumpfer Stim¬ me: „Hat Dir Marie je geſagt, ſie wolle ſich das Leben nehmen?“ „Nein“, ſagte ich. „War ſie in der letzten Zeit beſonders traurig?“ „Ja.“
Wieder ging er im Zimmer hin und her, mit un¬ gleichmäßigen Schritten und unverſtändliche Worte durch die Zähne murmelnd. Dann blieb er abermals vor mir ſtehen. „Und wenn ſie ſich das Leben genom¬ men hätte, ſo wäre ich ihr Mörder; murmelte er. „Wer ſonſt?“ antwortete ich.
Er zuckte zuſammen, als ob ihm ein Meſſer in die Bruſt geſtoßen wäre. „Es kann nicht ſein,“ ſagte er mit bleichen Lippen, „es wäre zu gräßlich.“
Ich wußte, welche Qualen er in dieſem Augenblicke ausſtand, aber ich wußte auch, daß der ſtolze Mann ſie doch noch lieber dem Tod, als einem Andern gönnte, und überdies hatte ich zu ſchweigen verſprochen. So blieb ich ſtill und wartete ab, was er beginnen würde.
Er hieß mich klingeln und die Leute hereinrufen. Sie kamen. „Wer von Euch zu müde iſt, mag zu Bette gehen:“ ſagte er, „wer noch weiter mit mir ſuchen will, ſoll dafür haben, was er verlangt.“
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Thür war, drehte er ſich um, und winkte mir, ihm
zu folgen.
Er ſchritt in dem Gemache auf und ab, endlich
blieb er vor mir ſtehen und ſagte mit dumpfer Stim¬
me: „Hat Dir Marie je geſagt, ſie wolle ſich das
Leben nehmen?“ „Nein“, ſagte ich. „War ſie in der
letzten Zeit beſonders traurig?“ „Ja.“
Wieder ging er im Zimmer hin und her, mit un¬
gleichmäßigen Schritten und unverſtändliche Worte durch
die Zähne murmelnd. Dann blieb er abermals vor
mir ſtehen. „Und wenn ſie ſich das Leben genom¬
men hätte, ſo wäre ich ihr Mörder; murmelte er.
„Wer ſonſt?“ antwortete ich.
Er zuckte zuſammen, als ob ihm ein Meſſer in die
Bruſt geſtoßen wäre. „Es kann nicht ſein,“ ſagte er
mit bleichen Lippen, „es wäre zu gräßlich.“
Ich wußte, welche Qualen er in dieſem Augenblicke
ausſtand, aber ich wußte auch, daß der ſtolze Mann
ſie doch noch lieber dem Tod, als einem Andern gönnte,
und überdies hatte ich zu ſchweigen verſprochen. So
blieb ich ſtill und wartete ab, was er beginnen würde.
Er hieß mich klingeln und die Leute hereinrufen.
Sie kamen. „Wer von Euch zu müde iſt, mag zu
Bette gehen:“ ſagte er, „wer noch weiter mit mir
ſuchen will, ſoll dafür haben, was er verlangt.“
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/269>, abgerufen am 18.07.2024.
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