vor meiner Stube, eine Hand suchte nach dem Drücker meiner Thür und als ich mich erschreckt im Bett emporrichtete, ging die Thür auf; es trat Je¬ mand herein und kam auf mein Bett zu. -- "Wer ist da?" rief ich. -- Ich bins, Mutter Clausen," sagte eine leise Stimme. Es war Marie. "Sind Sie krank geworden, Kind?" sagte ich. Nein, sagte sie, sich zu mir aufs Bett setzend, ich wollte nur Ab¬ schied nehmen, und Ihnen für all' die Liebe und Güte danken, die Sie an mir gethan haben." -- Ich glaubte, sie wollte sich das Leben nehmen, und sagte voller Entsetzen: "Um Gotteswillen, Kind, was hast Du vor?" -- "Fürchten Sie nichts, Mutter Clausen, sagte sie, und dabei umarmte und küßte sie mich unter vielen heißen Thränen; ich will fort, aber nur fort von hier. Ich habe es schon längst gewollt und jetzt ist die Stunde gekommen." -- "Warum jetzt?" sagte ich; "wo willst Du hin mitten in der Nacht? und noch dazu in solcher Nacht! Hörst Du nicht, wie Wind und Regen mit den Hunden um die Wette heu¬ len? Und Du kennst ja weder Weg noch Steg -- Du rennst ja gerade ins Verderben, und wenn Du nicht an Dich denkst, so denke wenigstens an das Kind, das Du unter dem Herzen trägst." -- "An das eben denke ich, sagte sie. Es soll nicht hier, wo
vor meiner Stube, eine Hand ſuchte nach dem Drücker meiner Thür und als ich mich erſchreckt im Bett emporrichtete, ging die Thür auf; es trat Je¬ mand herein und kam auf mein Bett zu. — „Wer iſt da?“ rief ich. — Ich bins, Mutter Clauſen,“ ſagte eine leiſe Stimme. Es war Marie. „Sind Sie krank geworden, Kind?“ ſagte ich. Nein, ſagte ſie, ſich zu mir aufs Bett ſetzend, ich wollte nur Ab¬ ſchied nehmen, und Ihnen für all' die Liebe und Güte danken, die Sie an mir gethan haben.“ — Ich glaubte, ſie wollte ſich das Leben nehmen, und ſagte voller Entſetzen: „Um Gotteswillen, Kind, was haſt Du vor?“ — „Fürchten Sie nichts, Mutter Clauſen, ſagte ſie, und dabei umarmte und küßte ſie mich unter vielen heißen Thränen; ich will fort, aber nur fort von hier. Ich habe es ſchon längſt gewollt und jetzt iſt die Stunde gekommen.“ — „Warum jetzt?“ ſagte ich; „wo willſt Du hin mitten in der Nacht? und noch dazu in ſolcher Nacht! Hörſt Du nicht, wie Wind und Regen mit den Hunden um die Wette heu¬ len? Und Du kennſt ja weder Weg noch Steg — Du rennſt ja gerade ins Verderben, und wenn Du nicht an Dich denkſt, ſo denke wenigſtens an das Kind, das Du unter dem Herzen trägſt.“ — „An das eben denke ich, ſagte ſie. Es ſoll nicht hier, wo
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vor meiner Stube, eine Hand ſuchte nach dem
Drücker meiner Thür und als ich mich erſchreckt im
Bett emporrichtete, ging die Thür auf; es trat Je¬
mand herein und kam auf mein Bett zu. — „Wer
iſt da?“ rief ich. — Ich bins, Mutter Clauſen,“
ſagte eine leiſe Stimme. Es war Marie. „Sind
Sie krank geworden, Kind?“ ſagte ich. Nein, ſagte
ſie, ſich zu mir aufs Bett ſetzend, ich wollte nur Ab¬
ſchied nehmen, und Ihnen für all' die Liebe und
Güte danken, die Sie an mir gethan haben.“ — Ich
glaubte, ſie wollte ſich das Leben nehmen, und ſagte
voller Entſetzen: „Um Gotteswillen, Kind, was haſt
Du vor?“ — „Fürchten Sie nichts, Mutter Clauſen,
ſagte ſie, und dabei umarmte und küßte ſie mich
unter vielen heißen Thränen; ich will fort, aber nur
fort von hier. Ich habe es ſchon längſt gewollt und
jetzt iſt die Stunde gekommen.“ — „Warum jetzt?“
ſagte ich; „wo willſt Du hin mitten in der Nacht?
und noch dazu in ſolcher Nacht! Hörſt Du nicht, wie
Wind und Regen mit den Hunden um die Wette heu¬
len? Und Du kennſt ja weder Weg noch Steg —
Du rennſt ja gerade ins Verderben, und wenn Du
nicht an Dich denkſt, ſo denke wenigſtens an das
Kind, das Du unter dem Herzen trägſt.“ — „An
das eben denke ich, ſagte ſie. Es ſoll nicht hier, wo
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/263>, abgerufen am 25.11.2024.
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